Das Insolvenzverfahren in Deutschland ist langwierig und oft ein steiniger Weg für die Betroffenen. Zwar können überschuldete Privatpersonen nach einem Insolvenzverfahren in Zukunft nicht mehr nach sechs, sondern schon nach drei Jahren schuldenfrei werden, allerdings müssen die Schuldner innerhalb der drei Jahre eine recht hohe Quote von 35 Prozent der Forderungen ihrer Gläubiger erfüllt haben, sonst greift die Restschuldbefreiung nicht.
Viel verlockender ist daher oft die Hoffnung, das Insolvenzverfahren ins EU-Ausland zu verlagern – nach England oder Frankreich zum Beispiel. Doch selbst nach erfolgreichem Abschluss eines Insolvenzverfahrens in den genannten Ländern ist es nicht sicher, dass die Restschuldbefreiung in Deutschland anerkannt wird.
Die Ausgangslage
2018 haben nach Angaben der Wirtschaftsauskunftei Creditreform 68.600 private Personen ein Insolvenzverfahren beantragt – das sind fast fünf Prozent weniger als 2017. Damit setzt sich ein Trend fort, der 2010 begann, als noch knapp 111.000 Verbraucherinsolvenzen zu verzeichnen waren. Insgesamt warten derzeit rund 620.000 Personen in Deutschland auf die Restschuldbefreiung.
Dabei werden die Restschulden künftig nach gerade mal drei Jahren in Deutschland und sieben Jahren in Österreich erlassen, vorausgesetzt, man erreicht die 35 Prozent Erfüllungsquote der Forderungen an die Gläubiger innerhalb der drei Jahre. Sofern die Restschuldbefreiung klappt, wäre die überschuldete Privatperson nach den drei Jahren schuldenfrei – so sieht es zumindest die Reform des Insolvenzrechts vor, die im Bundestag zur Verabschiedung stand.
Kritische Stimmen
Es gibt jedoch auch kritische Stimmen. So glauben viele Fachleute, dass die recht hohe Quote von 35 Prozent nur von einer Minderheit erfüllt werden kann. Denn insbesondere Kleinschuldner werden von den Verfahrens-, Beratungs- und Anwaltskosten zusätzlich erdrückt.
Die Kreditwirtschaft argumentiert dagegen, dass eine zu einfache Schuldenbefreiung die Banken aus Vorsicht dazu bringen würde, einen Zinsaufschlag zu verlangen, was wiederum für die übrigen Bürger mit höher Kostenbelastung einhergehen würde. Ebenfalls stelle dies für die Problemgruppen eine höhere Hürde bei der Kreditvergabe dar.
Der Schritt ins Ausland: England
Deshalb suchen viele überschuldete Personen im Ausland einen schnellen Ausweg aus der persönlichen Misere. Diese „Insolvenztouristen“ weichen dann nach Großbritannien, Spanien oder auch Frankreich aus. Im Folgenden soll der „Insolvenztourismus“, der wohl von einigen Tausend praktiziert wird, anhand des britischen Systems mit zwei Praxisbeispielen erklärt werden.
So muss der Schuldner um in England ein Insolvenzverfahren eröffnen zu können, auch seinen Lebensmittelpunkt dorthin verlegen. Doch diese Voraussetzung wird seitens der englischen Gerichte eher selten geprüft. Aber selbst wenn die betroffenen Personen tatsächlich in England wohnen, so garantiert dies noch lange keine Restschuldbefreiung in Deutschland, wie wir gleich sehen werden.
Zunächst ist festzuhalten, dass das englische Insolvenzrecht im Vergleich zum deutschen weitaus milder ist. Schon nach zwölf Monaten werden britische Schuldner aus der Privatinsolvenz entlassen und können neu beginnen. Der britische Gesetzgeber hat die Insolvenzdauer vor gut einem Jahrzehnt auf ein Jahr verkürzt. Dies hat den „Insolvenztourismus“ enorm angekurbelt.
Jedoch bietet die Durchführung der Insolvenz in England kein Allheilmittel an. Zunächst ist hier das Risiko gegeben, dass Schuldner, die mit falschen Karten spielen, mit harten Konsequenzen rechnen müssen: In Missbrauchsfällen, etwa wenn Vermögenswerte den Gläubigern verheimlicht werden, kann die Insolvenzdauer vom Gericht auf bis zu 15 Jahre verlängert werden.
Eine andere Frage stellt dar, ob das in England durchgeführte Insolvenzverfahren und die erreichte Restschuldbefreiung auch in Deutschland gleichermaßen anerkannt werden. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Wie die zwei nachfolgenden Beispiele zeigen, waren die Umgehungsversuche des deutschen Insolvenzrechts für die Betroffenen wenig erfolgreich.
Fall 1
Im ersten Fall hatte das Landgericht Köln mit seinem Urteil vom 14.10.2011, Aktenzeichen 82 O 15/08, dem Insolvenztourismus eine klare Grenze gesetzt. Hierbei hatte sich der beklagte Schuldner gemeinsam mit vier weiteren Deutschen eine Wohnung in London angemietet und geteilt. Die Mitbewohner der „Insolvenz-WG“ hielten sich aus denselben Gründen wie der beklagte Schuldner in London auf.
Das Landgericht Köln wertete diese Schicksalsgemeinschaft als „Insolvenznest“ und sah es als erwiesen an, dass der Beklagte seinen Wohnsitz unter Ausnutzung des „organisierten Insolvenztourismus“ rechtsmissbräuchlich nach England verlegt hat, um sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen berechtigten Gläubigerforderungen zu entziehen. Da dieses Verhalten als Verstoß gegen den Ordre public, die öffentliche Ordnung, gilt, wurde der in England erteilten Restschuldbefreiung in Deutschland die Anerkennung versagt.
Aus den Leitsätzen der Entscheidung des LG Köln in seinem Urteil vom 14. Oktober 2011 (Az.: 82 O 15/08):
Verlegt ein Schuldner seinen Wohnsitz nur zum Schein nach England, um sich (die Möglichkeiten des organisierten Insolvenztourismus nutzend) durch das unkomplizierte englische Insolvenzverfahren innerhalb eines Jahres zu entschulden und sich dadurch berechtigten Gläubigerforderungen zu entziehen, liegt ein Verstoß gegen den deutschen Ordre public vor, der dazu führt, dass von der englischen Restschuldbefreiung erfasste Forderungen in Deutschland gleichwohl durchsetzbar sind.
Fall 2
Im zweiten Fall geht es um einen findigen Steuerberater, der seine Schulden gegenüber dem Finanzamt in Höhe von 1 Mio. Euro versucht hatte durch eine Wohnsitzverlegung nach England loszuwerden. In England beantragte der Steuerberater dann die Eröffnung eines Insolvenzhauptverfahrens (Bankruptcy-Verfahren) nach Art.3 EUInsVO (Europäischer Insolvenzverordnung) und erlangte nach einem Jahr die begehrte Restschuldbefreiung (discharge).
Der Bundesfinanzhof machte dem Steuerberater hinsichtlich seiner Steuerschulden in Deutschland einen gewaltigen Strich durch den wohldurchdachten Plan. Denn der Bundesfinanzhof erkannte die Restschuldbefreiung in seinem Urteil (BFH, Beschluss v. 27.1.2016, VII B 119/15) wegen des Verstoßes gegen den Ordre public nicht an:
Grundsätzlich sei die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Vereinigten Königreich gem. Art 16 EuInsVO in Deutschland anzuerkennen. Das Gleiche gelte auch für die erteilte Restschuldbefreiung gem. Art. 25 Abs.1 EuInsVO. Es muss jedoch dieser Restschuldbefreiung nach Art.26 EuInsVO wegen des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung die Anerkennung versagt werden, weil der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen im Ausland lediglich vorgetäuscht hat, gegenüber dem ausländischen Insolvenzgericht unzutreffende Angaben zu seinem Familienstand, seiner Berufstätigkeit sowie seinen Vermögensverhältnissen gemacht und einen Gläubiger in dem Insolvenzverfahren verschwiegen hat.
Fazit
Damit wird deutlich, dass ein derartiger Insolvenztourismus mit einem hohen Risiko verbunden sein kann. Hinzu kommt, dass der bevorstehende Brexit dem Insolvenztourismus in England ein baldiges Ende bereiten könnte. Mehr dazu im zweiten Teil unseres Artikels.
Statt auf den Insolvenztourismus zu setzen, lohnt es sich in vielen Fällen, über Wege zur außergerichtlichen Schuldenregulierung nachzudenken. Gerne ist Ihnen die Kanzlei BRAUN als kompetenter Partner in Insolvenzfragen bei der für Sie passenden Lösung behilflich.
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