Die Geschichte des Insolvenzverfahren reicht bis in Jahr 1877 zurück

Die heutige Insolvenzordnung (InsO) hat eine lange und komplexe Geschichte, die bis zur Einführung der Konkursordnung im Jahr 1877 zurückreicht. Diese war ein Teil der Reichsjustizgesetze und wurde gemeinsam mit der Zivilprozessordnung (ZPO), dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und der Strafprozessordnung (StPO) erlassen. Im Jahr 1935 wurde die Vergleichsordnung eingeführt, um die Möglichkeiten zur Sanierung von Unternehmen zu erweitern. In den neuen Bundesländern galt ab 1991 die Gesamtvollstreckungsordnung, die ebenfalls auf die Besonderheiten der wirtschaftlichen Umstellung in diesen Regionen reagierte.

Mit der Einführung der Insolvenzordnung am 1. Januar 1999, gemäß § 335 InsO in Verbindung mit Art. 110 EGInsO, wurden die bisherigen Regelungen der Konkurs- und Vergleichsordnung sowie die Gesamtvollstreckungsordnung abgelöst. Ziel war es, ein einheitliches Insolvenzrecht für ganz Deutschland zu schaffen und damit die zuvor geltenden unterschiedlichen Regelungen zu harmonisieren.

Neuheiten des Insolvenzrechts

Eine der wesentlichen Neuerungen der Insolvenzordnung war die Einführung von Anreizen zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrags. Dies sollte dem Problem der häufigen Massearmut entgegenwirken. Gleichzeitig wurden die Befugnisse des Insolvenzverwalters erweitert, um masseschädigende Handlungen besser anfechten und so der Insolvenzmasse mehr Vermögen zuführen zu können.

Zum Schutz natürlicher Personen führte der Gesetzgeber die Restschuldbefreiung ein. Vor dieser Regelung konnten Gläubiger nach einem Konkursverfahren uneingeschränkt Forderungen gegenüber dem Schuldner geltend machen. Bereits in den 1980er Jahren wurde dies kritisch gesehen, da es den Schuldner dauerhaft an der Grenze des Existenzminimums hielt und ihm keine Perspektive für einen schuldenfreien Neuanfang bot. Die Restschuldbefreiung sollte redlichen Schuldnern die Möglichkeit geben, nach einer bestimmten Zeitspanne von ihren Restschulden befreit zu werden. Dies wurde ausdrücklich als Ziel in § 1 Satz 2 InsO festgeschrieben.

Insolvenzverfahren steigen an

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Insolvenzordnung war die stärkere Einbindung der Gläubiger in den Verlauf des Verfahrens. Nach Inkrafttreten der neuen Regelung stieg die Anzahl der eröffneten Insolvenzverfahren um etwa ein Drittel. Der Höchststand wurde 2010 mit 168.458 beantragten Verfahren erreicht, seitdem waren die Zahlen größtenteils rückläufig, was sich allerdings wieder zu ändern scheint. Denn im ersten Halbjahr 2024 verzeichnete die Creditreform 11.000 Unternehmensinsolvenzen. Dies entspricht einem Anstieg von fast 30 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres, als 8.470 Fälle registriert wurden, und stellt den höchsten Wert seit nahezu einem Jahrzehnt dar. Auch die Zahl der Verbraucherinsolvenzen ist erneut angestiegen.

Die Schwächen des Insolvenzrechts

Zweifellos bietet die fortlaufende Anpassung und Weiterentwicklung an die neuen wirtschaftlichen Realitäten einen großen Vorteil, wie unserer knapper Zeitabriss zeigen konnte. Denn im Zuge dieser Entwicklung wurde es dem Schuldner ermöglicht, sich nicht nur mit seinen Schulden kritisch auseinanderzusetzen, sondern nach der Erteilung der Restschuldbefreiung einen wirtschaftlichen Neuanfang zu wagen. Es wurde und wird daher weiterhin auf die Redlichkeit des Schuldners abgestellt.

Doch hier scheint die Stärke des Insolvenzrechts in das Gegenteil umzukehren, denn obwohl das Insolvenzrecht dazu dient, eine geordnete Abwicklung finanzieller Schwierigkeiten zu gewährleisten, ist es keineswegs ein Freifahrtschein für verantwortungsloses Handeln. Wer bewusst auf einen Konkurs hinarbeitet, begeht eine Straftat. Eine Pleite ist nicht zwangsläufig das Resultat schlechter Geschäftsführung oder widriger wirtschaftlicher Umstände. Häufig sind Firmen in Not, weil ihre Kunden verspätet oder gar nicht zahlen. Auch geraten Verbraucher wegen einer plötzlichen Krankheit oder Arbeitslosigkeit in die wirtschaftliche Krise.

Ausnutzen des Verfahrens

Nun ist es allerdings so, dass sich in den letzten Jahren eine andere Art von Schuldner etabliert hat, wobei deren Anzahl von Jahr zu Jahr stetig wächst. Es handelt sich um solche Personen, die das Verfahren nutzen, um sich Ihrer zuvor vorsätzlich angehäuften Schulden zu entledigen. Es findet somit ein Umkehreffekt und Kipppunkt im Insolvenzverfahren statt. Das Insolvenzverfahren wird von immer mehr Personen bewusst genutzt, um ihren Konsum zu steigern.

Die Nachteile einer 11-jährigen oder 10-jährigen Sperrzeit nach einer erfolgten Restschuldbefreiung werden dabei billigend in Kauf genommen. Gemeint sind nicht solche Konsumenten, die – wie inzwischen üblich – zwar viel Konsum auf Kredit finanzieren und somit den Verdienst aus der Zukunft verbrauchen – auch wenn deren Anteil ebenfalls stetig zunimmt. Gemeint sind Personen, die bewusst Schulden machen, weil diese in einem Insolvenzverfahren von der Restschuldbefreiung umfasst sind.

Wie kann das gehen?

Funktionieren tut dies, weil es keine geeignete Ahndungssystematik im Insolvenzverfahren gibt. Zwar wäre der vorbenannte Schuldner ein unredlicher, der dann keine Restschuldbefreiung erhalten würde, doch gibt es niemanden, der einen Versagungsantrag stellt. Stellen kann einen solchen nämlich nur ein Gläubiger. Oft erfahren die Gläubiger von einem solchen unredlichen Verhalten aber nichts.

Insolvenzverfahren sind für die Gläubiger zu uninteressant, als dass sie sich in einem solchen engagieren würden. Solange der Kosten-Nutzen-Effekt für die Wirtschaft noch positiv ist, stellt dies auch kein Problem dar. Problematisch wird dies nur, wenn die Anzahl der vorsätzlichen Schuldenmacher weiter zunimmt und so der Forderungsausfall der Gläubiger das übliche Maß deutlich übertreffen würde.

Wie sieht die Zukunft aus?

Es bleibt abzuwarten, ob sich – wie in vielen anderen Bereichen auch – nur ein kleiner Prozentsatz von ausnutzenden Personen bildet oder ob sich der seit Jahren anhaltende Trend weiter vertieft. Dann könnte die Restschuldbefreiung für alle in Gefahr sein, weil sich der Gesetzgeber zum Handeln genötigt fühlen könnte.

Bisher jedenfalls überwiegen die Stärken der Insolvenzordnung, sodass weiterhin den vielen redlichen Personen der wirtschaftliche Neuanfang ermöglicht werden kann.

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