Die schrittweise Humanisierung des Schuldrechts im Abriss der Geschichte
Bereits vor 5000 Jahren, um etwa 3000 v. Chr., begannen die Menschen im alten Mesopotamien mit der Praxis des Schuldmachens. Damals existierte noch kein Münzgeld; stattdessen entstanden Schulden durch den Verleih von Getreidesaaten. Diese Saaten mussten nach der Ernte zusammen mit Zinsen zurückgezahlt werden. Um solche Transaktionen festzuhalten, nutzte man Rollsiegel mit Hieroglyphen. Wenn ein Schuldner nicht zahlen konnte, wurde er zur Schuldknechtschaft gezwungen und musste seine Schulden also durch Arbeit abtragen. Als die Zahl der verschuldeten Bürger bis 1700 v. Chr. so groß wurde, dass sie den Staat lähmten, erklärte man die Schuldscheine für ungültig – der erste dokumentierte Schuldenerlass.
Der Beginn der Kredite
Etwa tausend Jahre später, um 700 v. Chr., tauchten die ersten geprägten Münzen in Griechenland und Lydien auf. Mit dem Aufkommen des Münzgeldes entstanden auch die ersten Banken, die Kredite vergaben. In Griechenland haftete dem Geldverleih von Anfang an einen schlechten Ruf an, sodass diese Geschäfte oft von freigelassenen Sklaven oder bürgerrechtslosen Personen betrieben wurden. Ein berühmter Geldverleiher jener Zeit war der Sklave Pasion, der im 4. Jahrhundert v. Chr. als Bankier in Athen tätig war. Er verlangte Zinssätze von 10-12 %, vergleichbar mit heutigen Kreditkonditionen.
Von drakonischen Maßnahmen zu Reformen
In der Antike wurde die Behandlung von Schuldnern oft durch drakonische Maßnahmen geregelt. Ein Schuldner, der seine Geldschulden nicht bezahlen konnte, wurde oft dem Gläubiger als Sklave zugesprochen. Dies geschah besonders, wenn der Schuldner zuvor versucht hatte, der Schuldknechtschaft durch Zahlungsversprechen zu entkommen. Die Praxis erlaubte es dem Gläubiger, den Schuldner zur Abarbeitung der Schulden zu versklaven und beinhaltete sogar das umstrittene Recht, den Körper des Schuldners zu „teilen“.
In Athen wurde dieses rigide Recht durch Solon im Rahmen der Seisachtheia-Reformen schlussendlich abgeschafft. Ähnlich ging es in Rom: Die Schuldknechtschaft wurde 326 v. Chr. durch das Gesetz „Lex Poetelia Papiria de nexis“ beendet. Dennoch tauchte die Praxis der Schuldhaft noch in der Kaiserzeit auf, wo sie durch die Zwangsversteigerung des Besitzes des Schuldners (missio in possessionem) ergänzt wurde.
Weg von körperlichen Strafen, hin zu gerechten Maßnahmen
Im Mittelalter um das Jahr 1382 wurde das römische Recht dann durch den Sachsenspiegel ersetzt. Statt Schuldner zu töten, wurden sie nun in Schuldknechtschaft gezwungen. In ganz Europa entstanden Schuldtürme, in denen Schuldner eingesperrt wurden, während ihre Kinder gezwungen waren, die Schulden der Väter abzuarbeiten. Dies führte zu weit verbreiteter Kinderarbeit in Europa.
Während der Französischen Revolution wurde die Schuldknechtschaft in Europa durch die Einführung moderner Verfassungen schließlich abgeschafft. Diese historischen Reformen markieren den Beginn eines langen Weges zu moderneren und humaneren Methoden des Umgangs mit Schulden. Sie zeugen von einem allmählichen Übergang von extremen körperlichen Bestrafungen hin zu gerechteren und strukturierten Ansätzen in der Schuldenbewältigung.
In der Gegenwart angekommen, bedient sich die moderne Gesellschaft eines weitaus humaneren kodifizierten Instrumentariums, um mit säumigen Schuldnern umzugehen und passende Lösungen für beide Seiten der fehlenden Münzmedaille, nämlich die des Gläubigers und des Schuldners parat zu haben: Die Insolvenzordnung. Diese unterscheidet wiederum zwischen zwei Haupttypen von Insolvenzverfahren: der Unternehmensinsolvenz und der Verbraucherinsolvenz.
Unterschiede der Insolvenzverfahren
Die Unternehmensinsolvenz, auch als Regelinsolvenzverfahren bekannt, bildet den Standardfall in der Insolvenzordnung. Dieses Verfahren betrifft Unternehmen und Selbständige, die zahlungsunfähig sind oder drohen, zahlungsunfähig zu werden. Bei der Regelinsolvenz steht den Schuldnern der direkte Weg zur Einreichung eines Insolvenzantrags offen, ohne dass vorher ein außergerichtlicher Einigungsversuch unternommen werden muss.
Im Gegensatz dazu können auch Privatpersonen, die nicht oder nicht mehr selbständig tätig sind, Insolvenz anmelden. Für diese Fälle hat die Insolvenzordnung spezifische Regeln entwickelt, die in den §§ 304ff InsO festgehalten sind. Hier spricht man von Verbraucherinsolvenzen.
Der Unterschied liegt im sogenannten „außergerichtlichen Einigungsversuch“. Bevor Privatpersonen ein Insolvenzverfahren eröffnen können, schreibt das Gesetz vor, dass zunächst versucht werden muss, eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern zu erzielen. Erst wenn dieser Versuch scheitert, kann der Antrag auf Verbraucherinsolvenz gestellt werden.
Hilfe bei Privatinsolvenz
Unser Augenmerk soll jedoch dem Privatinsolvenzverfahren gelten. Dieses bietet für viele Menschen einen Ausweg aus finanziellen Schwierigkeiten. Sie steht jedoch nur jenen zur Verfügung, die keine selbstständige, wirtschaftliche Tätigkeit ausüben oder in der Vergangenheit ausgeübt haben – außer sie haben nicht mehr als 20 Gläubiger und keine offenen Forderungen aus Arbeitsverhältnissen (§ 304 Abs. 2 InsO).
Seit der Reform im Oktober 2020 dauert das Insolvenzverfahren nur noch drei Jahre, unabhängig davon, ob ein Teil der Schulden gezahlt wird. Zuvor konnte sich das Verfahren auf bis zu sechs Jahre erstrecken, wenn die Verfahrenskosten nicht aufgebracht werden konnten. Für Anträge zwischen dem 17. Dezember 2019 und dem 30. September 2020 gilt eine Übergangsregelung, bei der sich die Dauer schrittweise verkürzt.
Vor- und Nachteile der Privatinsolvenz
Eine Privatinsolvenz bringt zahlreiche Vorteile mit sich:
- Schuldenfreiheit nach drei Jahren: Ohne Privatinsolvenz könnten Gläubiger bis zu 30 Jahre lang pfänden.
- Keine Gerichtsvollzieherbesuche: Das Vermögen wird von einem Treuhänder verwaltet.
- Neustart: Schulden und negative Schufa-Einträge werden gelöscht. Ein wirtschaftlicher Neubeginn ist sechs Monate nach der Restschuldbefreiung möglich.
Trotz der Vorteile sollte man sich der Nachteile bewusst sein:
- Information an den Arbeitgeber: Der pfändungsfreie Teil des Gehalts muss an den Treuhänder überwiesen werden.
- Öffentliche Bekanntmachung: Die Insolvenz wird auf der Website Insolvenzbekanntmachungen.de veröffentlicht.
- Einschränkungen im Konsumverhalten: Keine Ratenkäufe, Dispokredite oder Kreditkarten.
- Schwierigkeiten bei Wohnungswechseln: Vermieter sehen negative Schufa-Einträge ungern.
- Vertragswechsel: Schwierigkeiten beim Wechsel von Strom-, Gas- oder Telefonanbietern.
- Verfahrenskosten: Gericht und Treuhänder verursachen Kosten.
- Dauer: Drei Jahre bis zur Schuldenfreiheit, danach weitere sechs Monate Speicherung der Restschuldbefreiung durch die Schufa.
Die sechs Phasen des Verfahrens:
- Außergerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren: Ziel ist eine Einigung mit den Gläubigern. Ein Schuldenbereinigungsplan wird erstellt und den Gläubigern vorgelegt. Stimmen alle Gläubiger zu, entfällt ein Gerichtsverfahren.
- Gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren: Scheitert die außergerichtliche Einigung, prüft das Gericht einen gerichtlichen Schuldenbereinigungsplan.
- Gerichtliches Insolvenzverfahren: Wird der Plan nicht angenommen, folgt das eigentliche Insolvenzverfahren. Ein Treuhänder verwaltet das pfändbare Vermögen.
- Wohlverhaltensphase: Der Schuldner tritt für drei Jahre sein pfändbares Einkommen an den Treuhänder ab und darf keine unangemessenen Schulden machen.
- Insolvenzplanverfahren: Bei veränderten Vermögensverhältnissen kann eine erneute Einigung versucht werden.
- Restschuldbefreiung: Nach drei Jahren entscheidet das Gericht über die Befreiung von den restlichen Schulden.
Schufa Einträge werden nun zeitiger gelöscht
Seit dem 28. März 2023 löscht die Schufa Einträge zur Restschuldbefreiung und die damit verbundenen Schulden nach sechs Monaten. Zuvor wurden diese Daten drei Jahre lang gespeichert. Diese Änderung ermöglicht einen schnelleren wirtschaftlichen Neustart nach der Restschuldbefreiung und reagiert auf europäische Datenschutzvorgaben.
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 7. Dezember 2023 besagt, dass private Auskunfteien wie die Schufa Daten zur Restschuldbefreiung nicht länger als das öffentliche Insolvenzregister speichern dürfen. In Deutschland bedeutet dies eine maximale Speicherdauer von sechs Monaten, danach müssen die Informationen gelöscht werden.
Fazit
Wenngleich nicht mehr, wie in früheren Zeiten üblich, für einen Schuldner die Überschuldung für ihn mit einer Gefahr für Leib und Leben und seine Angehörigen mit einer lebenslangen Schuldknechtschaft verbunden ist, so sollte der Weg in die Privatinsolvenz gut überlegt sein. Die Vorteile, wie Schuldenfreiheit und gesichertes Existenzminimum, müssen gegen die Nachteile, wie die öffentliche Bekanntmachung und Einschränkungen im Konsumverhalten, abgewogen werden. Dennoch können diese als Nachteile empfundenen Einschränkungen in keiner Weise mit den drakonischen Strafen in der Vergangenheit mithalten. Deshalb sollte das moderne Schuldenverfahren, als das gesehen, was es ist, die Chance auf eine wirtschaftliche Widergeburt, statt eines lebenslangen Schuldturms oder gar Todes.
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