Vom Wunsch, sich seinen Insolvenzverwalter auszusuchen
Wenn das wirtschaftliche Kartenhaus fällt, wenn Konten gesperrt, Lieferungen eingestellt und Telefone nicht mehr abgenommen werden, dann beginnt das Insolvenzverfahren. Für den Schuldner ist es ein tiefer Einschnitt, für die Gläubiger oft die letzte Hoffnung. Und mitten in diesem juristischen Drama betritt er die Bühne: der Insolvenzverwalter. Er verwaltet, verteilt, entscheidet – und wird schnell zur mächtigsten Person im ganzen Verfahren. Doch wer darf ihn eigentlich bestimmen? Kann der Schuldner sich seinen Verwalter aussuchen, so wie man sich einen Anwalt wählt?
Die Antwort ist ebenso ernüchternd wie grundlegend: Nein, er kann es nicht. Und genau darin liegt der Sinn.
Neutralität statt Nähe – Das Gericht entscheidet
Nach § 56 Absatz 1 Satz 1 der Insolvenzordnung (InsO) bestellt das Insolvenzgericht „eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person“ zum Insolvenzverwalter. Das ist keine zufällige Formulierung, sondern die Essenz eines Systems, das Neutralität über Nähe stellt. Der Verwalter soll nicht Freund oder Feind, nicht Partner oder Gegner sein – sondern Treuhänder aller.
Das Gericht trifft diese Entscheidung nach eigenem Ermessen. Es wählt üblicherweise aus einem Kreis erfahrener und überprüfter Personen, die auf sogenannten Verwalterlisten geführt werden. Darauf finden sich Rechtsanwälte, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer mit insolvenzrechtlicher Spezialisierung. Der Schuldner darf zwar Vorschläge machen – vielleicht weil er jemanden kennt, dem er vertraut, oder weil er auf bestimmte Branchenkenntnisse verweist. Doch das Gericht ist an solche Vorschläge nicht gebunden. Es muss unabhängig bleiben, auch von Sympathien.
Mehr Mitsprache für Gläubiger durch § 56a InsO
Etwas Bewegung bringt § 56a InsO ins Spiel. Er räumt dem sogenannten vorläufigen Gläubigerausschuss – sofern ein solcher eingerichtet wird – ein Mitspracherecht ein. Dieser Ausschuss besteht typischerweise aus Vertretern der wichtigsten Gläubigergruppen und dient der frühen Kontrolle der Verfahrensleitung. Das Gericht muss ihn vor der Bestellung des Insolvenzverwalters anhören. Der Ausschuss kann sogar eine konkrete Person vorschlagen oder zumindest ein fachliches Anforderungsprofil benennen. Und nach § 56a Absatz 2 InsO darf das Gericht nur dann von diesem Vorschlag abweichen, wenn die benannte Person ungeeignet ist. Das bedeutet in der Praxis: Wo ein funktionierender Ausschuss existiert, liegt die Entscheidung de facto bei den Gläubigern – vorausgesetzt, ihr Vorschlag ist juristisch und fachlich vertretbar.
Kein Wahlrecht für Schuldner – mit gutem Grund
Der Schuldner hingegen bleibt Zuschauer. Er darf Einwände äußern, wenn er begründete Zweifel an der Unabhängigkeit des Verwalters hat, etwa bei persönlichen Verflechtungen oder früheren Mandaten. Doch ein eigenes Wahlrecht besitzt er nicht. Das mag ungerecht erscheinen – aber es bewahrt die Integrität des Verfahrens. Denn ein Insolvenzverwalter, der vom Schuldner selbst bestimmt wird, wäre in den Augen der Gläubiger kaum glaubwürdig.
Gläubigerversammlung: Wechsel in letzter Minute
Noch eine letzte Option eröffnet § 57 InsO: die Wahl eines anderen Insolvenzverwalters in der ersten Gläubigerversammlung. Die Gläubiger können dort mit einfacher Mehrheit den vom Gericht bestellten Verwalter durch eine andere, geeignete Person ersetzen. Das Gericht muss diesem Beschluss folgen, sofern keine rechtlichen Bedenken bestehen. Diese Möglichkeit ist Ausdruck des Grundsatzes der Gläubigerautonomie – jener Idee, dass die wirtschaftlich Betroffenen das Verfahren in wesentlichen Punkten mitgestalten dürfen. Doch sie ist eine nachträgliche Korrektur, kein Wahlrecht im Voraus. Und in der Realität wird davon selten Gebrauch gemacht: Ein Verwalter, der bereits das Verfahren übernommen hat, wird nur in Ausnahmefällen abgelöst, etwa bei offenkundigem Misstrauen oder erkennbarer Unfähigkeit.
Damit bleibt die gerichtliche Bestellung der Regelfall. Die Praxis hat dazu ein System der sogenannten „Verwalterrotation“ entwickelt: Gerichte greifen auf feste Listen zurück, wechseln aber regelmäßig zwischen den Namen, um Interessenkonzentrationen zu vermeiden. Gleichwohl kritisieren manche Beobachter, dass sich die Verfahren auf einen kleinen Kreis spezialisierter Kanzleien konzentrieren – ein in sich geschlossener Zirkel von Experten, deren Auswahl für Außenstehende oft undurchsichtig wirkt.
Was Schuldner dennoch tun können
Für den Schuldner ist das alles wenig tröstlich. Wer sich in einer wirtschaftlichen Ausnahmesituation befindet, möchte verständlicherweise auf Vertrautes setzen – auf jemanden, der nicht nur Bilanzen versteht, sondern auch Menschen. Doch das Insolvenzrecht lässt diese Hoffnung nicht zu. Der Verwalter ist kein persönlicher Berater, sondern ein gesetzlicher Treuhänder. Seine Loyalität gilt nicht einer Person, sondern dem Verfahren.
Mögliche Einflussfaktoren für Schuldner:
- Sachlich begründete Vorschläge mit fachlichem Mehrwert
- Hinweise auf besondere Branchenerfahrung
- Dokumentierte Erfolge bei früheren Sanierungen
- Hinweise auf Befangenheit durch frühere Mandate
Wahlverwandtschaft ohne Wahlrecht
Am Ende steht ein einfaches, aber fundamentales Prinzip: Neutralität geht vor Nähe. Der Insolvenzverwalter ist die Personifikation des Gleichgewichts im Verfahren – weder Anwalt der Gläubiger noch Sprachrohr des Schuldners. Seine Aufgabe ist es, den Schaden zu begrenzen, Werte zu sichern, Ansprüche zu prüfen und, wenn möglich, einen Neuanfang zu ermöglichen. Dass er dabei nicht gewählt, sondern bestellt wird, ist kein Mangel an Demokratie, sondern ein Schutzmechanismus gegen Einflussnahme.
Und doch bleibt zwischen Schuldner und Verwalter eine eigentümliche Beziehung – eine Zwangsgemeinschaft, die ohne Vertrauen nicht funktionieren kann. In Goethes Sinn könnte man sagen: Es sind Wahlverwandtschaften, aber solche ohne Wahl. Zwei Menschen, die sich nicht gesucht haben, aber dennoch gemeinsam den Weg gehen müssen, bis das Verfahren beendet ist – oder eine neue wirtschaftliche Zukunft beginnt.
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