Wer zahlt den Steuerberater im Insolvenzverfahren?
Wenn ein Unternehmen in die Insolvenz rutscht, stürzt nicht nur die wirtschaftliche Ordnung, sondern auch die Buchhaltung in ein Chaos. Und mitten in diesem Durcheinander steht eine Frage, die auf den ersten Blick banal wirkt, in Wahrheit aber die Grundprinzipien des Insolvenzrechts berührt: Wer trägt die Kosten für den Steuerberater, der im Auftrag des Insolvenzverwalters eine Betriebswirtschaftliche Auswertung oder gar die Steuererklärungen erstellt – der Verwalter, also die Insolvenzmasse, oder der Schuldner selbst? Diese unscheinbare Streitfrage offenbart ein Spannungsfeld aus rechtlicher Verantwortung, ökonomischer Vernunft und systemischer Gerechtigkeit.
Juristische Grundlagen – Mehr als nur ein Paragraphendschungel
Die rechtliche Grundlage liegt im Zusammenspiel mehrerer Normen. Zentrale Bedeutung kommt der Insolvenzordnung zu, insbesondere den §§ 54, 55 und 63 InsO, die bestimmen, welche Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten gelten, also aus der Insolvenzmasse zu begleichen sind. Hinzu tritt die Abgabenordnung, vor allem § 34 AO, der den Insolvenzverwalter in die Stellung eines gesetzlichen Vertreters für die steuerlichen Pflichten des Schuldners versetzt. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens übernimmt der Verwalter somit auch die Pflicht, steuerliche Erklärungen für die Masse abzugeben, einschließlich der Erstellung notwendiger Unterlagen wie Bilanzen und Betriebswirtschaftlicher Auswertungen. Doch ob die Masse auch die Kosten für die Beauftragung eines Steuerberaters tragen muss, ist eine andere Frage – eine, die die Rechtsprechung in feinen Nuancen beantwortet hat.
Der BGH spricht Klartext: Nur das Notwendige zählt
Der Bundesgerichtshof hat sich bereits mehrfach mit dieser Thematik befasst. Im Beschluss vom 22. Februar 2007 (IX ZB 106/06) stellte das Gericht klar, dass Steuerberatungskosten grundsätzlich Massekosten sein können, sofern sie „unausweichlich“ im Rahmen der ordnungsgemäßen Verfahrensführung entstehen. Maßgeblich ist, dass der Verwalter eine gesetzliche Pflicht erfüllt, nicht, dass er sich administrativ entlasten möchte. In einer späteren Entscheidung vom 13. März 2014 (IX ZB 204/11) konkretisierte der BGH diese Linie. Kosten für einen Steuerberater seien aus der Masse zu tragen, wenn sie im Rahmen der steuerlichen Pflichten des Verwalters anfallen, die er in amtlicher Verantwortung gegenüber dem Finanzamt wahrnimmt. Das heißt konkret: Wo das Steuerrecht zwingt, darf die Masse zahlen.
Wenn Gerichte Grenzen setzen: Der Fall Kleve
Eine andere Tonlage schlug das Landgericht Kleve in einem Beschluss vom 15. Juni 2011 (4 T 45/11) an. Dort hatte der Insolvenzverwalter ohne zwingende Notwendigkeit einen externen Steuerberater beauftragt. Das Gericht verneinte die Masseverbindlichkeit der dadurch entstandenen Kosten. Der Verwalter, so die Begründung, müsse grundsätzlich selbst in der Lage sein, die betriebswirtschaftlichen Zahlen zu verwalten und zu dokumentieren. Nur wenn die Beauftragung eines Steuerberaters wirklich „unausweichlich“ sei, könne sie als notwendige Verwaltungskosten anerkannt werden. Das Urteil zieht damit eine klare Grenze: Notwendig ist nur, was gesetzlich oder faktisch unabweisbar ist. Alles andere fällt in den Bereich des unternehmerischen oder persönlichen Risikos.
In der Praxis ist diese Unterscheidung zwischen Notwendigkeit und Bequemlichkeit alles andere als einfach. Gerade bei kleineren oder mittelständischen Unternehmen, deren Buchhaltung oft lückenhaft oder unübersichtlich ist, steht der Insolvenzverwalter vor einem Berg ungeordneter Zahlen. Eine Betriebswirtschaftliche Auswertung ist jedoch die Grundlage jeder realistischen Fortführungsentscheidung, und ohne die Hilfe eines Steuerberaters kaum zu bewältigen. Gleichwohl mahnt die Rechtsprechung zur Zurückhaltung, denn die Insolvenzmasse ist kein Selbstbedienungstopf. Jeder Euro, der für externe Beratung ausgegeben wird, mindert den Anteil der Gläubiger. Der Verwalter befindet sich somit in einem Dilemma. Er ist verpflichtet, steuerliche Pflichten korrekt zu erfüllen, darf aber keine unnötigen Kosten auslösen, die die Masse belasten. Juristisch ist das ein schmaler Grat; praktisch ist es ein Minenfeld.
Wann die Masse zahlen darf – und wann nicht
Beauftragt der Insolvenzverwalter einen Steuerberater zur Erfüllung zwingender steuerlicher Pflichten – etwa zur Erstellung von Umsatzsteuererklärungen oder einer BWA, die für das Finanzamt erforderlich ist – so gelten diese Kosten als Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Erfolgt die Beauftragung dagegen zu internen Zwecken, etwa um Gläubiger zu informieren, die eigene Übersicht zu verbessern oder eine Fortführung zu prüfen, so ist sie nicht zwingend notwendig und daher nicht massefähig. In Fällen überhöhter oder sachlich nicht gerechtfertigter Aufwendungen droht dem Verwalter im Extremfall sogar persönliche Haftung, denn seine Aufgabe ist es, die Masse wirtschaftlich zu verwalten und den Gleichbehandlungsgrundsatz der Gläubiger zu wahren.
Kriterien für die Massefähigkeit von Steuerberaterkosten:
- Erfüllung gesetzlicher Pflichten gegenüber dem Finanzamt
- Zwingende Notwendigkeit der Beauftragung
- Keine vorhandenen internen Möglichkeiten zur Erfüllung
- Keine bloße administrative Entlastung des Verwalters
- Keine überhöhten oder nicht gerechtfertigten Kosten
Zwischen Verantwortung und Rechenschaft: Ein schmaler Grat
Insolvenzverwalter ist nicht nur Hüter des verbliebenen Vermögens, sondern auch Sachwalter der Vernunft. Er darf fachliche Unterstützung suchen, aber nur, soweit sie unvermeidbar ist. Der Steuerberater ist kein Luxus, sondern ein Werkzeug – doch die Grenze zwischen notwendiger Fachleistung und überflüssiger Kostenproduktion ist scharf gezogen. Der Bundesgerichtshof hat den Maßstab eindeutig formuliert. Nur das Unausweichliche darf die Masse belasten. Alles andere bleibt dem Schuldner oder der persönlichen Verantwortung des Verwalters überlassen.
Soweit Insolvenzverwalter versuchen, den Ausgleich der Kosten, die er nicht gegenüber der Masse abrechnen kann, vom Schuldner zu erlangen, ist das Begehren ohne Rechtsgrundlage. Der Schuldner muss unter keinen Umständen für die Kosten aufkommen.
In einem separaten Artikel wird beschrieben, wer eine Steuererklärung abgeben muss und wer die Informationen zur Erstellung der Steuererklärungen bereitstellen muss. Unter diesem Link finden Sie den entsprechenden Artikel: https://docs.google.com/document/d/1FDwDQvmpQ4R_HGarz0dljSTeYr76Pcq4/edit
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