Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht
Seit dem 1. September 2022 gilt in der Altenpflege die verpflichtende Tarifregelung. Betreiber und Kostenträger führen intensive Verhandlungen, bei denen jeder Cent zählt. Viele Pflegeheime und Pflegedienste befürchten eine mögliche Insolvenz. Obwohl die Politik versprochen hatte, dass die gestiegenen Lohnkosten vollständig von den Kostenträgern übernommen werden, scheinen diese nun in den Verhandlungen zu knausern. Angesichts einer Lohnkostensteigerung von bis zu 25 Prozent sind Angebote für eine 13-prozentige Gehaltserhöhung nicht ausreichend. Und als wäre das nicht genug, kommen nun auch noch die hohen Energiekosten hinzu.
Versprechungen der Politik
Es war wie ein erfrischender Regenschauer inmitten der Corona-Pandemie: Die Politik erhob ihre Stimme und versprach eine angemessene Bezahlung für die heldenhaften Pflegekräfte. Klatschen und Applaus vom Balkon waren zwar eine schöne Geste, aber es war klar, dass Taten folgen mussten. Und so geschah es: Kurz vor den Bundestagswahlen 2021 wurde mit vereinten Kräften das Tariftreuegesetz durch das Parlament gebracht, wie ein leuchtender Hoffnungsschimmer am Horizont.
Ab dem 1. September 2022 sollten nur noch Pflegeeinrichtungen, die ihre wertvollen Pflege- und Betreuungskräfte mindestens nach Tarif entlohnen, zur Versorgung zugelassen werden und mit der Pflegeversicherung abrechnen können. Endlich wurden klare Untergrenzen festgelegt, um sicherzustellen, dass diejenigen, die sich um unsere betreuungsbedürftigen Mitbürger kümmern, fair entlohnt werden.
Die neue Regelung in der Theorie
Als Untergrenze einigte man sich auf folgende Werte:
- für ungelernte Pflegehilfskräfte 13,70 Euro
- für qualifizierte Hilfskräfte 14,60 Euro
- für Pflegefachkräfte 17,10 Euro
Um ihre Verpflichtung zu erfüllen, müssen die Betreiber von Pflegeeinrichtungen entweder bestehende Tarifverträge oder kirchliche Arbeitsrechtsregelungen übernehmen. Dies ist für viele gemeinnützige Betreiber, insbesondere diejenigen mit konfessionellem Hintergrund, kein Problem. Sie stehen voll und ganz hinter der Tarifpflicht und setzen sie gewissenhaft um. Alternativ haben die Pflegebetreiber auch die Möglichkeit, den Pflegekassen gegenüber zu erklären, dass sie ihren Pflegekräften eine Vergütung auf dem „regional üblichen Entgeltniveau“ zahlen werden. Hierbei geht es darum, dass die Bezahlung dem regionalen Durchschnitt entspricht und ein faires Gehalt gewährleistet wird.
Wo liegt bei der praktischen Umsetzung das Problem?
Vor allem in Bezug auf die Kostenübernahme gibt es einige Schwierigkeiten. Die Politik hatte versprochen, dass die gestiegenen Lohnkosten zu 100 Prozent von den Kostenträgern übernommen werden und dafür sogar eine zusätzliche Milliarde Euro aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt wird. Doch nun scheinen die Kostenträger in den Verhandlungen zu knausern und den Geldbeutel nur zögerlich zu öffnen. Die anfängliche Großzügigkeit scheint sich in ein knauseriges Feilschen zu verwandeln.
Die aktuellen Verhandlungen
Die Situation bei den Verhandlungen wird von einer ambulanten Pflegebetreiberin aus Ammersbek in Schleswig-Holstein wie folgt beschrieben: „Unser Kostenträger hat uns ein Angebot von 13 Prozent für das regionale Gehalt gemacht. Damit sind die gestiegenen Lohnkosten bei Weitem nicht abgedeckt. Denn viele Pflegedienste stehen nun vor der Herausforderung, Gehälter zu zahlen, die bei einigen um 25 Prozent gestiegen sind.“ Viele in der Branche fühlen sich ratlos und haben Sorgen vor einer möglichen Insolvenz. Die Ungewissheit hängt wie ein Damoklesschwert über ihnen.
Finanzielle Belastungen für Pflegeeinrichtungen
Da die Personalkosten bei den Pflegeeinrichtungen den größten Kostenblock innehaben, sind diese abhängig davon, dass die gestiegenen Personalkosten zu 100 Prozent übernommen werden. Viele Pflegeeinrichtungen sind von der Gewinn- in die Verlustzone abgerutscht. Eine Personalkostenreduzierung kann hier nur über einen Stellenabbau oder über eine weniger gewissenhafte Pflege erfolgen, was das überlastete Personal (physisch und psychisch) weiter belasten wird.
Neben den steigenden Lohnkosten belastet auch die aktuelle Inflation die Pflegebetreiber zusätzlich. Insbesondere kleine und mittelgroße private Einrichtungen leiden unter den enorm gestiegenen Energiekosten. Für ambulante Dienste bedeuten dies hohe Ausgaben für Benzin und Diesel, um ihre Fahrzeugflotte betriebsbereit zu halten. Bei stationären Einrichtungen machen die Kosten für Heizung und Strom bis zu 30 Prozent der Gesamtbetriebskosten aus. Diese finanzielle Belastung trifft die Pflegebetreiber zusätzlich und hart.
Zeit und Geld werden knapp
Dass das Vorgenannte nicht nur graue Theorie ist, zeigen die eindrücklichen Schilderungen der Pflegebetreiberin: „Jeder Handwerker kann die gestiegenen Kosten einfach auf die Anfahrtspauschale aufschlagen. Ich habe diese Möglichkeit nicht. Ich kann nicht einfach den Eigenanteil der Patienten erhöhen. Was bleibt mir also übrig? Ich versuche, Zeit einzusparen, indem ich meine Mitarbeiter bitte, statt mit einer Viertelstunde für die Körperpflege mit nur zehn Minuten auszukommen. Auch der nette Plausch während der Pflege muss leider wegfallen. Aber ehrlich gesagt, wer möchte das? Es geht gegen unsere Grundidee der einfühlsamen Betreuung.“
Auch die Pflegekassen, als Kostenträger, stehen unter erheblichem finanziellem Druck und müssen jeden einzelnen Euro zweimal umdrehen. Die Ressourcen sind knapp und die Kostenträger müssen mit äußerster Sorgfalt und Umsicht agieren, um ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Finanzielle Herausforderungen sind vielfältig und setzen die gesamte Branche unter erheblichen Druck. Die Kassen sind derzeit nicht in der Lage, die gestiegenen Kosten alleine zu tragen. Sie brauchen ihrerseits eine finanziellen Entlastung oder Unterstützung.
Betriebsaufgabe, Sanierung, Insolvenz?
Seit Jahresbeginn sind die monatlichen Benzinkosten für den Pflegedienst Ammersbek insgesamt um etwa 1.000 Euro gestiegen, so die Pflegebetreiberin. Diese zusätzliche finanzielle Belastung stellt eine erhebliche Herausforderung dar und zwingt die Pflegebetreiberin zu schwerwiegenden Entscheidungen, um die Kosten in den Griff zu bekommen. Und diese Entscheidung kann unter Umständen bedeuten, den Betrieb entweder ganz aufzugeben oder zu versuchen, diesen im Insolvenzverfahren doch noch zu stabilisieren.
Insgesamt stehen alle Pflegeeinrichtungen unter einem enormen Sanierungsdruck. Wer es nicht schafft, die Kosten durch Personal- oder Zeiteinsparung zu reduzieren, wird den Gang zum Insolvenzgericht gehen müssen – mit wenig Aussicht auf Sanierung. Eine Insolvenz kann nämlich nur vor Alt-Verbindlichkeiten schützen und Kosten durch Vertragsauflösungen (z.B. Mietverträge, Arbeitsverträge etc.) einsparen. Hier haben die Pflegeeinrichtungen aber überhaupt keine Kontrolle über die Personalkosten und deren Ersatz durch die Kassen.
Derzeit sieht es so aus, als würde die gut gemeinte Tariferhöhung das Gegenteil von dem bewirken, was von den Tarifparteien gewollt war. Sie stehen vor eigenen finanziellen Herausforderungen, ob betrieblich oder privat? Der Fachanwalt für Insolvenzrecht und Sanierungsrecht Sebastian Braun der Kanzlei BRAUN ist fachkundig an Ihrer Seite.