Chef beleidigt

Gegenüber Vorgesetzten und Kollegen geäußerte Beleidigungen rechtfertigen keine fristlose Kündigung, sofern menschenunwürdige Arbeitsbedingungen zu der verbalen Entgleisung geführt haben

Konfliktsituationen bilden nicht selten einen Teil des Berufslebens. Im Rahmen der Beschäftigung treffen Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen, Zielen, Erwartungen oder Bedürfnissen aufeinander. Selbst wenn die Chemie nicht stimmt, muss im Zuge der Realisierung von Projekten mit Diplomatie und Zugeständnissen miteinander gearbeitet werden. Dabei gibt es eine ganze Reihe möglicher Konfliktpotenziale am Arbeitsplatz, die häufig auch durch Zeitdruck, Karrierepläne oder persönliche Konkurrenzsituationen verstärkt werden. Nicht immer gelingt es den Beteiligten, die Contenance zu wahren. Wie im nachfolgenden Fall geschildert, landen solche Auseinandersetzungen manchmal zur Entscheidung vor Gericht.

Was war am Arbeitsplatz vorgefallen?

Eine Arbeitnehmerin, die bereits ein Kündigungsschutzverfahren vor dem Thüringer Landesarbeitsgericht im November 2016 zu ihren Gunsten für sich entscheiden konnte, wollte zu ihrem Arbeitsplatz zurückkehren.

Dort jedoch musste sie feststellen, dass sie neuerdings in einem von Schimmel und Mäusen befallenen Kellerraum bei einer Raumtemperatur von 11 °C Archivarbeiten verrichten musste. Zu einem späteren Zeitpunkt dann, erhielt sie zwar wieder ein Büro zugewiesen, musste allerdings über einen Hof schwere Akten transportieren, um so ihre Archivierungsarbeiten fortführen zu können.

Im November des Jahres 2019 wurde diese Arbeitnehmerin dann fristlos gekündigt. Der Grund hierfür war, dass sie im Rahmen eines geführten Telefonats mit einer ehemaligen Arbeitskollegin sowohl ihren Chef als auch die Arbeitskollegen beleidigt hatte. So äußerte sie, dass der Flur stinke, nachdem der Chef ihn betreten habe. Die Kollegen betitelte sie als „fett“ und „blöd“. Die Arbeitnehmerin erhob gegen die Kündigung erneut Kündigungsschutzklage.

So entschied das Gericht zur Kündigungsschutzklage

Das Arbeitsgericht Nordhausen gab der Klage statt. Nach dem Dafürhalten des Gerichts habe die ausgesprochene Kündigung einer vorherigen Abmahnung bedurft. Gegen die so ergangene Entscheidung des AG Nordhausen ging die verklagte Arbeitgeberin in Berufung. Das Landesarbeitsgericht Thüringen bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts.

So wurde das Urteil begründet

Im Zuge der Urteilsbegründung legte das Gericht dar, dass die fristlose Kündigung mangels vorheriger Abmahnung unverhältnismäßig sei und daher unwirksam. Dabei sei das Augenmerk darauf zu richten, dass die Klägerin menschenunwürdig in einem kalten, verdreckten und gesundheitsgefährdenden Keller beschäftigt war. Obgleich dieser Umstand keine Rechtfertigung für Beleidigungen sei, stelle dies eine Zumutung dar. Entsprechend erhöht ist das Maß an Zumutbarem, welches die Arbeitgeberin hinzunehmen habe. Zudem könne in einem solchen Fall der Blick auf die Bedeutung der Äußerung verstellt sein.

Nach der Ansicht der Richter sei die Kündigung auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Klägerin zusätzlich ihre Arbeitskollegen beleidigt habe. Zugunsten der Klägerin sei zu berücksichtigen, dass durch die geschilderten Arbeitsbedingungen die Unzufriedenheit über das Arbeitsverhältnis extrem groß war und dass dieser Umstand zu einer emotionalen außergewöhnlichen Situation geführt habe.

So das Landesarbeitsgericht Thüringen in seinem Urteil vom 29.06.2022 zu dem Aktenzeichen – 4 Sa 212/13 -. Wenn Sie Fragen zu Ihren Rechten und Pflichten in Arbeitsverhältnissen haben, kontaktieren Sie die Kanzlei BRAUN. Die Kanzlei berät Sie professionell bundesweit zu allen Fragen des Arbeitsrechts. Ein Anwalt für Arbeitsrecht betreut Sie fachkundig, schützt Ihre Rechte und sorgt dafür, dass Sie allen Pflichten nachkommen.