Arbeitsgericht Berlin verneint Arbeitsverhältnis für Musikschullehrerin
Eine Musikschullehrerin, die seit mehr als zwei Jahrzehnten Musikunterricht erteilte, wollte nach all dieser Zeit festgestellt wissen, dass sie eigentlich eine Arbeitnehmerin sei? Genau um diese Konstellation hat es beim Arbeitsgericht Berlin zuletzt eine Auseinandersetzung gegeben – mit einem deutlichen „Nein“ als Fazit und Verweis auf die Anforderungen des § 611a Abs. 1 BGB. Soweit die Pointe des Falles, welcher so begann.
Sozialversicherungspflicht? Der Auslöser für die gerichtliche Klärung
Die Klägerin, eine erfahrene Musikpädagogin, unterrichtete seit 1999 an einer Berliner Musikschule – nicht als Angestellte, sondern auf Grundlage befristeter Rahmenverträge. Dort war eindeutig von „freier Mitarbeit“ die Rede. Ihre Aufgabe: Unterricht auf Honorarbasis. Termine? Mit den Schülern direkt vereinbaren. Inhalte? Frei gestalten. Selbst die letzten Verträge aus 2022 hielten an dieser Konstruktion fest.
Dann, im Sommer 2024, die Wende: Die Deutsche Rentenversicherung kam zu dem vorläufigen Schluss, die Lehrerin sei sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die Konsequenz: Das Land Berlin kündigte den Vertrag fristgerecht zum 30. September 2024. Für die Pädagogin ein Affront. Sie zog vor Gericht und forderte die Feststellung, dass sie seit 1999 Arbeitnehmerin sei. Ihr Argument: Die Freiheit, von der die Verträge sprachen, habe es in der Praxis nie gegeben. Sie sei eingebunden, weisungsgebunden, Teil der Organisation gewesen.
Gericht erkennt keine persönliche Abhängigkeit
Das Arbeitsgericht Berlin sah das in seinem Urteil vom 15.07.2025 zu dem Aktenzeichen 22 Ca 10650/24 grundlegend anders. Entscheidend sei nicht das Etikett im Vertrag, sondern die gelebte Realität – und die bot der Klägerin weit mehr Freiheiten als einem Arbeitnehmer. Nach § 611a Abs. 1 BGB erfordert ein Arbeitsverhältnis persönliche Abhängigkeit, Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation. Die Richter prüften genau und kamen zu dem klaren Ergebnis, dass keine persönliche Abhängigkeit, und somit kein Arbeitsvertrag zwischen der Klägerin und der Musikschule bestand. Die Lehrerin entschied über Ort, Zeit und Inhalt ihres Unterrichts selbst, so die Begründung des Gerichts.
Entscheidungsfreiheit in der Praxis: Das sprach gegen ein Arbeitsverhältnis
Im Urteil stellte das Gericht auf mehrere konkrete Punkte ab, die gegen ein Arbeitsverhältnis sprachen:
- keine Verpflichtung zur Nutzung der Musikschulräume
- freie Entscheidung über die Annahme von Schülern
- eigenständige Terminplanung ohne Vorgaben
- keine Teilnahmeverpflichtung an schulischen Veranstaltungen
- keine Kontrolle durch die Schule bezüglich der Unterrichtsgestaltung
- Möglichkeit, für andere Auftraggeber tätig zu sein
Freiheit ja – aber ohne arbeitsrechtlichen Schutz
„Anders als bei Lehrkräften an Regelschulen fehlten Reglementierungen und Kontrollen“, so sinngemäß das Gericht. Auch die wirtschaftliche Abhängigkeit der Klägerin änderte daran nichts, da sie jederzeit für andere Auftraggeber arbeiten konnte. Der Statusbescheid der Rentenversicherung? Für die arbeitsrechtliche Einordnung irrelevant.
Das ergangene Urteil signalisiert indes: „Freie Mitarbeit“ muss nicht nur auf dem Papier stehen, sie muss auch im Alltag spürbar sein. Wer – wie die Klägerin – über Terminplanung, Unterrichtsinhalte und Annahme von Schülern selbst entscheidet, erfüllt nicht die Kriterien eines Arbeitsverhältnisses.
Selbstständigkeit braucht gelebte Eigenverantwortung
Die Kehrseite: Wo Freiheit herrscht, fehlen Schutzrechte. Kein Anspruch auf Kündigungsschutz, kein Urlaubsentgelt, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – das ist der Preis der Selbstständigkeit.
Dieser Fall zeigt einmal mehr, wie schmal der Grat zwischen Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit bleibt. Er macht klar: Selbstständigkeit ist kein Etikett, sondern ein Zustand, der gelebt werden muss. Und sie kommt nicht zum Nulltarif – sie bedeutet Freiheit, aber auch Eigenverantwortung. Ob die Klägerin den Gang in die Berufung wagt, bleibt abzuwarten. Eines ist jedoch sicher: Die Debatte um flexible Beschäftigungsformen in Bildungsinstitutionen wird weitergehen.
Wer sich in einer ähnlichen Situation befindet, sollte sich frühzeitig beraten lassen – ein Anwalt für Arbeitsrecht in der Nähe kann hier entscheidende Klarheit schaffen.