Das Oberlandesgericht München hat in einem aktuellen Beschluss vom 19.06.2024 zu dem Aktenzeichen 23 W 869/24 E wichtige Leitlinien für die Streitwertbemessung bei Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen in GmbHs aufgestellt. Die Streitwertbeschwerde des Beklagtenvertreters wurde teilweise erfolgreich beschieden, wodurch der Streitwert auf über 1,2 Millionen Euro festgesetzt wurde. Die Entscheidung hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf den vorliegenden Fall, sondern bietet auch wertvolle Orientierung für zukünftige Verfahren.
Der Fall: Streit um Beschlüsse der Gesellschafterversammlung
Die Auseinandersetzung des zugrunde liegenden Falls begann mit einer Klage, in der eine Gesellschafterin mehrere Beschlüsse der GmbH-Gesellschafterversammlung anfocht. Bevor es zur mündlichen Verhandlung kam, zog die Klägerin ihre Klage zurück. Das Landgericht München II setzte daraufhin den Streitwert auf 211.292,80 Euro fest – ein Betrag, der vom Beklagtenvertreter als viel zu niedrig angesehen wurde. Mit seiner Beschwerde forderte er eine deutliche Heraufsetzung des Streitwerts, um die wirtschaftliche Bedeutung der Beschlüsse besser zu reflektieren.
Nachdem die erste Streitwertbeschwerde der Beklagten abgewiesen wurde, weil diese Partei durch einen zu niedrigen Streitwert nicht beschwert ist, legte der Prozessvertreter im eigenen Namen eine erneute Beschwerde ein. Diese war erfolgreich.
Die Entscheidung des OLG München
Das Oberlandesgericht hob den ursprünglichen Beschluss des Landgerichts auf und setzte den Streitwert auf 1.264.337,04 Euro fest. Maßgeblich für diese Entscheidung war die analoge Anwendung des § 247 Abs. 1 Satz 1 AktG, der auch bei GmbHs eine Bewertung der wirtschaftlichen Bedeutung des Streitgegenstands für beide Parteien verlangt. Die Richter betonten, dass die persönliche Nähe der Gesellschafter einer GmbH nicht gegen eine analoge Anwendung dieser Regelung spreche. Die Bedeutung der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage ergibt sich vielmehr aus den wirtschaftlichen Konsequenzen für die Gesellschafter.
Eine zentrale Frage des Verfahrens war, ob die Streitwertobergrenzen des Aktienrechts, hier § 247 Abs. 1 Satz 2 AktG, auf GmbHs übertragbar sind. Das Oberlandesgericht entschied klar dagegen. Diese Grenzen seien speziell auf den Schutz von Kleinanlegern zugeschnitten, wie sie in Aktiengesellschaften häufig vorkommen. Eine GmbH hingegen sei personalistisch strukturiert, sodass starre Begrenzungen oft unangemessen wären. Stattdessen müsse bei der Streitwertfestsetzung das Ermessen des Gerichts im Vordergrund stehen, welches sich an den konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen der Entscheidung orientiert. Diese Einschätzung entspricht auch der neuen Gesetzgebung im Handelsrecht – § 139 Abs. 5 HGB, die für personalistisch geprägte Unternehmensstrukturen eine flexible Bewertung vorsieht.
Bewertung der einzelnen Klageanträge
Das Gericht bewertete die verschiedenen Klageanträge der Klägerin differenziert. Besonders hervorzuheben sind die Streitwerte für Klageanträge, die sich gegen die Klägerin selbst richteten – etwa geplante Schadensersatzklagen der Gesellschaft. Diese wurden mit 1.201.337,04 Euro veranschlagt. Andere Anträge, wie die Anfechtung von Jahresabschlüssen, wurden auf Grundlage der finanziellen Verhältnisse der Beklagten geschätzt, beispielsweise mit 3.000 Euro.
Einige Anträge wurden aufgrund ihrer wirtschaftlichen Überschneidungen mit anderen Verfahren als bereits erfasst betrachtet und nicht separat bewertet.
Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt der Entscheidung ist die Klärung der Frage, ob ein Prozessvertreter im eigenen Namen eine Streitwertbeschwerde erheben kann. Das Oberlandesgericht bejahte dies, da der Anwalt bei einem zu niedrig festgesetzten Streitwert in der Erstattung seiner Gebühren beeinträchtigt war.
Bedeutung der Entscheidung für die Praxis
Diese Entscheidung unterstreicht, dass bei GmbHs eine flexible, an den wirtschaftlichen Realitäten orientierte Streitwertfestsetzung notwendig ist. Insbesondere die Absage an starre Streitwertobergrenzen des Aktienrechts schafft Klarheit und passt die Bewertung an die Bedürfnisse personalistisch geprägter Unternehmen an. Für die Prozesspraxis bedeutet dies, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen von Beschlüssen bei der Streitwertfestsetzung präzise darzulegen und differenziert zu bewerten sind.
Zudem stärkt die Entscheidung die Position von Prozessvertretern, die im eigenen Namen Streitwertbeschwerden erheben können. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München zeigt zudem auf, wie wichtig eine sachgerechte Streitwertfestsetzung in wirtschaftsrechtlichen Verfahren ist. Sie bietet klare Leitlinien für die Praxis und bekräftigt die Notwendigkeit einer individuellen Betrachtung bei GmbHs – ein wichtiger Schritt, um den spezifischen Anforderungen dieser Unternehmensform gerecht zu werden.
Haben Sie Fragen oder Anliegen zu diesem Thema? Dann können Sie jederzeit einen Anwalt für Gesellschaftsrecht zur Rate ziehen.