Keine Insolvenzantragspflicht bei Führungslosigkeit einer englischen Limited
Gemäß dem § 15 a Absatz 3 der Insolvenzordnung (InsO) ist festgelegt, dass im Falle eines Mangels an Führung bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung jeder Gesellschafter und im Falle eines Mangels an Führung bei einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft oder jedes Mitglied des Aufsichtsrats verpflichtet ist, einen Insolvenzantrag zu stellen, es sei denn, diese Person hat keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung oder dem Fehlen von Führung. Ist allerdings eine englische Limited führungslos, weil diesen keinen organschaftlichen Vertreter mehr hat, dann fehlt es nach Auffassung des Kammergerichts Berlin an einer Antragspflicht der Gesellschafter bzw. Mitglieder des Aufsichtsrates, so das Gericht in seinem Urteil vom 10.08.2022 zu dem Aktenzeichen 4 Ss 115/22.
Strafbefehl wegen Insolvenzverschleppung
Vor der deutschen Gerichtsbarkeit trat die Geschichte vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten zunächst wie geschildert in Erscheinung. Dieses verhängte am 07. März 2019 gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen Insolvenzverschleppung. Er wurde zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50,00 Euro verurteilt. Hintergrund war folgender Sachverhalt: Der Angeklagte war von der Gründung bis zu seiner Abberufung am 30. Juni 2015 Direktor der V Limited, die im Handelsregister des Amtsgerichts C. unter HRB XX eingetragen war und zuletzt ihren Geschäftssitz in X hatte.
Nach seiner Abberufung als Direktor war die Gesellschaft führungslos, obwohl er weiterhin Geschäftsführer der F-UG war, der einzigen Gesellschafterin der V Limited. Der Angeklagte war sich bewusst, dass die V Limited spätestens seit dem 27. Mai 2016 zahlungsunfähig war, da sie ab diesem Zeitpunkt die Sozialversicherungsbeiträge ihrer Mitarbeiter nicht mehr entrichten konnte.
Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde versäumt
Gemäß § 15a Abs. 1 Insolvenzordnung war der Angeklagte als gesetzlicher Vertreter der Gesellschafterin der V Limited verpflichtet, bei Zahlungsunfähigkeit ohne schuldhaftes Zögern, spätestens jedoch drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit – hier spätestens am 17. Juni 2016 – die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH zu beantragen. Er versäumte es jedoch, zu irgendeinem Zeitpunkt den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen.
Gegen den Strafbefehl legte der Angeklagte Einspruch ein, den er in der Hauptverhandlung auf die Höhe der Tagessätze beschränkte. Das Amtsgericht reduzierte daraufhin mit Urteil vom 21. August 2019 die Höhe des einzelnen Tagessatzes auf 20,00 Euro und bewilligte dem Angeklagten Ratenzahlung.
Aufgrund der Berufung des Angeklagten hob das Landgericht Berlin die Beschränkung des Einspruchs für unwirksam auf, kassierte das angefochtene Urteil und sprach den Angeklagten frei.
Revision blieb erfolglos
Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Revision ein, die auf der Sachrüge basierte. Diese blieb jedoch ohne Erfolg, das Kammergericht kam indes, wie nachfolgend dargestellt, zu einem anderen Ergebnis:
Das Kammergericht Berlin stimmt mit der Auffassung des Landgerichts überein, dass die Einschränkung eines Rechtsmittels auf den Teil des Urteils, der die Rechtsfolgen betrifft, ungültig ist, wenn der zugrunde liegende Schuldspruch auf einem Verhalten beruht, das nach den Feststellungen tatsächlich nicht strafbar ist (vgl. BGH 02.12.2015 – 2 SDR 258/15).
Das Landgericht hat diesen Grundsatz korrekterweise angewandt, da das dem Angeklagten zur Last gelegte Verhalten nicht strafbar ist. Die Bestimmung des § 15a Abs. 3 InsO und damit auch die Strafnormen des § 15a Abs. 4 bis Abs. 6 InsO gelten nicht für eine Limited nach englischem Recht. Diese Auslegung entspricht der vorherrschenden Meinung in der Fachliteratur.
Begrenzung der Insolvenzantragspflicht auf bestimmte Gesellschaftsformen
Obwohl anzuerkennen ist, dass der Gesetzgeber mit § 15a Abs. 1 InsO auch ausländische Unternehmen mit Sitz im Inland erfassen wollte, steht dem eine klare Abweichung des Absatzes 3 von Absatz 1 und die Beschränkung auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Aktiengesellschaften und Genossenschaften entgegen.
Eine Auslegung von § 15a Abs. 3 InsO, die den Begriff der Gesellschaft mit beschränkter Haftung auch auf Auslandsgesellschaften wie die englische Limited ausdehnt, geht über den klaren Wortlaut hinaus. Durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008 wurden sowohl die Regelungen zur Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO als auch die Regelungen zum Insolvenzantragsrecht bei Führungslosigkeit in § 15a Abs. 1 S. 2 InsO in die Insolvenzordnung aufgenommen.
Wenn der Gesetzgeber bei einer einheitlichen Regelung sowohl in § 15a Abs. 1 S. 2 InsO als auch in § 15 Abs. 1 InsO von juristischen Personen spricht, in § 15 Abs. 3 InsO jedoch nur ausdrücklich von der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der Aktiengesellschaft und der Genossenschaft, ist auszuschließen, dass andere als die dort ausdrücklich genannten juristischen Personen gemeint sind und insbesondere der Begriff der Gesellschaft mit beschränkter Haftung als Gattungsbegriff verwendet wurde.
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