Skulpture in Bronze, Zuhören wird symbolsiert

Wie ein vergessener Schriftsatz das Urteil kippt

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28. Oktober 2025 zum Aktenzeichen II ZR 147/24 erinnert eindrücklich daran, dass das Grundrecht auf rechtliches Gehör kein bloßes Ornament des Zivilprozesses ist, sondern ein tragender Pfeiler judikativer Fairness. Wenn ein Berufungsgericht einen nachgelassenen, fristgerecht eingereichten Schriftsatz übergeht, kann das gesamte Gebäude der Entscheidung wanken – so auch hier. Der BGH hob das Urteil des OLG Düsseldorf teilweise auf, weil dieses einen Schriftsatz der Klägerin schlicht übersehen hatte. Der Fall zeigt exemplarisch, welche Bedeutung die genaue Kenntnisnahme des Parteivorbringens für die gerichtliche Tatsachenwürdigung besitzt.

Ausgangspunkt des Streits war eine Überweisung von 80.000 €, die der Beklagte – einst Geschäftsführer, später Liquidator der klagenden GmbH – am 30. Juni 2021 auf das Konto einer Anwaltspartnerschaft veranlasste. Die Klägerin betrachtete dies als pflichtwidrige Vermögensverschiebung und verlangte Schadensersatz. Während das Landgericht dem stattgab, drehte das Oberlandesgericht das Ergebnis und wies die Klage in diesem Punkt ab. Es argumentierte, ein Schaden sei nicht ausreichend wahrscheinlich dargelegt: Die Anwaltspartnerschaft habe das Geld nicht in eigenes Vermögen überführt, sondern auf einem Anderkonto für die Klägerin verwahrt; sie könne es daher jederzeit zurückverlangen.

Zentrale Streitfrage wurde schlicht übersehen

Genau an dieser Stelle liegt der entscheidende Haken. Denn die Klägerin hatte in einem nachgelassenen Schriftsatz vom 25. Mai 2023 ausdrücklich bestritten, dass diese Verwahrung auf einem Anderkonto überhaupt stattgefunden habe. Dieser zentrale Vortrag war zwar ordnungsgemäß eingereicht, wurde aber vom Berufungsgericht übersehen – das OLG ging fälschlich von Unstreitigkeit aus. Erst in einem späteren Tatbestandsberichtigungsbeschluss korrigierte es sich selbst und stellte fest, dass die Frage der Verwahrung sehr wohl streitig ist. Doch da war das Urteil bereits gefällt.

Der BGH sieht hierin eine klare und entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG. Das Gericht müsse nicht nur die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis nehmen, sondern auch ernsthaft erwägen – und bereits das Übersehen eines zulässigen Schriftsatzes verletze diese Pflicht. Hinzu kommt die Relevanz: Hätte das Berufungsgericht das Bestreiten der Verwahrung berücksichtigt, wäre es nach seiner eigenen Logik nicht ausgeschlossen gewesen, dass es eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Schaden angenommen hätte. Denn die Ablehnung des Schadens basierte maßgeblich auf der Annahme, das Geld sei sicher und verfügbar geblieben. Die Rechtsfolge war folgerichtig: Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung.

Wichtige Lehren für Praxis und Prozessbeteiligte

Der Beschluss unterstreicht mehrere praktische Lehren:

  • Gerichte müssen nachgelassene Schriftsätze zuverlässig in die Entscheidungsfindung einbeziehen
  • In komplexen Verfahren ist besondere Sorgfalt bei der Beweislastverteilung geboten
  • Parteien sollten wichtige Nachträge deutlich kennzeichnen
  • Im Zweifel ist eine Gehörsrüge ein sinnvolles Mittel zur Sicherung prozessualer Rechte
  • Scheinbar unstreitige Tatsachen sollten stets noch einmal auf ihren tatsächlichen Streitstand geprüft werden

Der Fall zeigt außerdem, wie stark die Beweiswürdigung zu Lasten der Parteien kippen kann, wenn scheinbar unstreitige Tatsachen in Wahrheit streitig sind.

Zuhören ist keine Formalität – es ist rechtsstaatliche Pflicht

Letztlich macht der BGH mit seiner klaren Linie deutlich, dass gerichtliche Entscheidungen nur dann Bestand haben können, wenn sie auf vollständiger Kenntnis des Prozessstoffs beruhen. Ein übersehener Schriftsatz mag wie ein technisches Versehen wirken, hat aber eine substanzielle Wirkung auf das rechtsstaatliche Verfahren. Der Beschluss II ZR 147/24 erinnert damit eindrucksvoll daran, dass gerichtliches Zuhören keine Formalität ist – sondern Voraussetzung für materiell richtige Entscheidungen.

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