– Von der Ungerechtigkeit der Altverfahren –
Im Verlauf des Insolvenzverfahrens erhalten Insolvenzgläubiger normalerweise nur einen Teil ihrer Forderungen zurück – meistens sogar gar keinen. Der ausstehende Betrag kann auch nach Abschluss des Verfahrens weiterhin geltend gemacht werden. Hier kommt das Restschuldbefreiungsverfahren zum Einsatz, das darauf abzielt, den Schuldner von diesen Schulden zu befreien. Um das Restschuldbefreiungsverfahren zu beantragen, ist eine Antragstellung seitens des Schuldners vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erforderlich, idealerweise bereits im Rahmen des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dabei ist es von großer Bedeutung, dass der Antrag zulässig ist.
Insolvenzverfahren, deren Anträge ab dem 01.10.2020 gestellt wurden
Heute bedeutet dies, dass dem Schuldner innerhalb der letzten 11 Jahre keine Restschuldbefreiung gewährt wurde oder in bestimmten Fällen nicht innerhalb der letzten 3 bzw. 5 Jahre die Restschuldbefreiung in einem früheren Verfahren versagt wurde. Die Befreiung des Schuldners von den verbleibenden Insolvenzschulden tritt ein, wenn er über einen Zeitraum von drei Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens (oder bei wiederholtem Restschuldbefreiungsverfahren über 5 Jahre) seine pfändbaren laufenden Bezüge an einen Treuhänder abtritt und aktiv am Insolvenzverfahren mitwirkt. Dies bedeutet, dass der Schuldner über einen bestimmten Zeitraum regelmäßige Zahlungen leisten – sofern pfändbare Bezüge vorhanden sind – und sich aktiv an den Verfahrensabläufen beteiligen muss.
Insolvenzverfahren, deren Anträge vor dem 01.10.2020 gestellt wurden
Für Altverfahren gilt die pauschale Dreijahresfrist nicht. Diese Insolvenzverfahren laufen 6, 5 oder 3 Jahre. Eine Verkürzung ist nur möglich, wenn die Verfahrenskosten bezahlt wurden – dann 5 Jahre – oder wenn innerhalb von 3 Jahren eine Quote von 35 % erreicht wurde – dann 3 Jahre.
Für eine vorzeitige Beendigung musste zusätzlich ein Antrag auf Verfahrensverkürzung gestellt werden. Entscheidend war bei der Drei-Jahresverkürzung nicht, wann der Antrag gestellt wurde, sondern wann die 35 %-Quote erreicht wurde.
Ein Fall, der das Problem beschreibt
Der nachfolgende Fall zeigt die Ungerechtigkeit auf, die dieses Alt-System mit sich brachte – und für laufende Altverfahren noch mit sich bringt.
Der BGH hat mit seinem Beschluss vom 19.09.2019 zu dem Aktenzeichen zwar entschieden, dass der Antrag auf Erteilung vorzeitiger Restschuldbefreiung auch außerhalb der Dreijahresfrist gestellt werden kann, er hat aber auch klargestellt, dass die 35-Quote innerhalb der Dreijahresfrist erreicht sein muss.
Dem lag der folgende Sachverhalt zugrunde. Aufgrund des Antrags der Schuldnerin wurde am 03.09.2015 das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Im Prüfungstermin am 30.11.2015 wurden Forderungen der Insolvenzgläubiger in Höhe von 17.469 € festgestellt und in die Insolvenztabelle aufgenommen. Bis zum 03.09.2018 konnte die Insolvenzverwalterin 15.182 € zugunsten der Insolvenzmasse vereinnahmen (87 % der angemeldeten Forderungen). Zu diesem Zeitpunkt betrugen die Gerichtskosten 879 € und die Vergütung der Insolvenzverwalterin 9.437 €.
Am 03.09.2018 stellte die Schuldnerin einen Antrag auf vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung, der am 04.09.2018 beim Gericht einging. Die Insolvenzverwalterin lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass eine Befriedigung der Forderungen der Insolvenzgläubiger in Höhe von mindestens 35 % nicht möglich sei. Sie berechnete einen Fehlbetrag von 1.248 € zum 03.09.2019.
Am 28.09.2018 und 04.10.2018 flossen der Insolvenzmasse weitere Zahlungen in Höhe von 179 € und 1.180 € zu.
Die Entscheidung
Hierauf erging die folgende gerichtliche Entscheidung. Die Schuldnerin hat die Möglichkeit, den Antrag auf vorzeitige Restschuldbefreiung auch nach Ablauf der dreijährigen Frist zu stellen. Obwohl § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO (alt) für bestimmte Fälle einen Antrag voraussetzt, besagt diese Regelung nicht, dass der Antrag innerhalb der Dreijahres- oder Fünfjahresfrist beim Gericht eingegangen sein muss. Allerdings liegen in diesem Fall die Voraussetzungen für die Gewährung der vorzeitigen Restschuldbefreiung nicht vor.
Der Insolvenzverwalterin floss bis zum Ablauf der dreijährigen Abtretungsfrist am 03.09.2018 nicht der Betrag zu, der eine Befriedigung der Insolvenzgläubiger in Höhe von 35 % ermöglicht hätte. Anstatt der erforderlichen 16.431 € flossen der Insolvenzverwalterin nur 15.182 € zu. Gemäß § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO (alt) und § 53 InsO (alt) ergibt sich, dass der Insolvenzverwalterin nicht nur ein Betrag zugeflossen sein muss, der die Mindestbefriedigungsquote abdeckt, sondern zusätzlich auch ein Betrag, mit dem die Verfahrenskosten und sonstigen Masseverbindlichkeiten beglichen werden könnten.
Maßgeblicher Stichtag ist entscheidend
Wenn drei Jahre der Abtretungsfrist vergangen sind und das Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen wurde, werden zur Berechnung der Mindestbefriedigungsquote Insolvenzforderungen berücksichtigt, die als festgestellt gelten und denen weder vom Insolvenzverwalter noch von den Insolvenzgläubigern widersprochen wurde.
Sowohl für die berücksichtigten Insolvenzforderungen als auch für die Verfahrenskosten und sonstigen Masseverbindlichkeiten ist der maßgebliche Stichtag entscheidend. Es spielt keine Rolle, welche Verfahrenskosten bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens voraussichtlich anfallen, welche Insolvenzforderungen noch angemeldet werden oder welche Masseverbindlichkeiten bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens entstehen.
Regelung bezieht sich auf bestimmten Stichtag
Die Regelung bezieht sich auf einen bestimmten Stichtag, der maßgeblich für die Berechnung des erforderlichen Zahlbetrags zur Verkürzung der Restschuldbefreiung ist. Dies kann zur Folge haben, dass am Ende des Insolvenzverfahrens möglicherweise weniger als 35 % der Forderungen verteilt werden. Die zukünftige Entwicklung der Masse und der Quote ist jedoch nur begrenzt vorhersehbar.
Der erforderliche Betrag, um 35 % der festgestellten Forderungen zu decken, belief sich am 03.09.2018 auf 6.111 €. Die Kosten des Insolvenzverfahrens betrugen 10.316 €, sodass der Insolvenzverwalterin zu diesem Zeitpunkt ein Betrag von 16.431 € zugeflossen sein müsste. Tatsächlich flossen der Insolvenzverwalterin jedoch nur 15.182 € zu, sodass 1.248 € für die erforderliche Quote fehlten. Die Zahlungen vom 28.09. und 04.10.2018 erfolgten außerhalb der dreijährigen Frist und somit zu spät.
Der Fall ist sehr tragisch. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass die betreffende Person mehr als 100 % der Insolvenzforderungen an Geldern an die Insolvenzverwalterin abgeführt hat.
Das Problem des Alt-Systems
Die Ungerechtigkeit dieses Alt-Systems wird bei Personen, die gesamtschuldnerisch für ihre Schulden haften – meist bei Ehepaaren, die gemeinsam einen Kredit aufgenommen haben – noch unerträglicher. Hier gibt es Fallkonstellationen, in denen beide Ehepartner jeweils 80 bis 100 % an den Insolvenzverwalter abgeführt haben und beide nicht in den Genuss der verkürzten Verfahrensdauer kommen, weil in beiden Insolvenzverfahren die 35-Quote nicht erreicht wurde. In dieser Konstellation wären 160 bis 200 % eingezahlt worden. Die Gläubiger wären außerhalb eines Insolvenzverfahrens vollständig befriedigt worden.
Wer vor dem 01.10.2020 seinen Insolvenzantrag gestellt hat und eine Quote von 35 % erreichen kann, sollte sich schnellstmöglich um die Berechnung der Verfahrenskosten kümmern, damit ihm nicht das Gleiche passiert wie der oben beschriebenen Person. Die Frist für die Erreichung der 35-Quote läuft bald für die meisten Alt-Verfahren ab. Bei Fragen hierzu steht Ihnen die Kanzlei BRAUN gerne jederzeit zur Verfügung.