Nachdem wir die Rechtsausbildung sowie das Rechtssystem in Deutschland beleuchtet haben, werfen wir einen Blick über den juristischen Tellerrand nach Österreich und die Schweiz. In Deutschland gestaltet sich der Weg zur Anwaltschaft unkompliziert. Im Grunde genommen bedarf es lediglich einer erfolgreichen Absolvierung der beiden juristischen Staatsexamina. Nach diesem Schritt erfolgt die Zulassung bei der örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer, ohne dass eine zusätzliche spezielle Prüfung abgelegt werden muss.
In Österreich ist der Weg länger
In Österreich hingegen stellen die Anforderungen an eine Anwaltszulassung eine bedeutend höhere Hürde dar. Hier reicht allein ein abgeschlossenes Jurastudium nicht aus. Zusätzlich dazu ist eine fünfjährige praxisbezogene Berufsausbildung notwendig, die in zwei Abschnitte unterteilt ist: die „kleine Legitimationsurkunde” (kleine LU) und die „große LU”. Zu Beginn (mit der kleinen LU) ist man lediglich befugt, Fälle mit einem Streitwert von bis zu 5.000,00 Euro zu vertreten. Darüber hinaus besteht eine Pflicht zur Konsultation eines Anwalts. Erst nach 18 Monaten Ausbildung kann man vor Gericht agieren, was mit dem Erwerb der großen LU einhergeht.
Der Berufsanwärter, im Volksmund auch „Konzipient” genannt, muss mindestens sieben Monate seiner Ausbildung vor Gericht und mindestens drei Jahre in einer Anwaltskanzlei verbringen. Während dieser Zeit sind zudem 42 Halbtage an Ausbildungsveranstaltungen zu besuchen. Schließlich muss der Anwärter eine umfassende Rechtsanwaltsprüfung vor einer Kommission des Oberlandesgerichts bestehen. Erst nachdem diese Hürden überwunden sind und der Rechtsanwaltskammerausschuss sein Vertrauen in den angehenden Anwalt ausgesprochen hat, wird dieser in die Liste der zugelassenen Anwälte in Österreich aufgenommen. Er erhält dann das Recht, sich als Rechtsanwalt zu bezeichnen und eine eigene Anwaltskanzlei in Österreich zu eröffnen.
Im Vergleich zu Deutschland ist der Zulassungsweg für Anwälte in Österreich also erheblich anspruchsvoller. Denjenigen, die sich diesem Prozess unterziehen, gebührt die Anerkennung dafür, dass sie mit Leidenschaft und Engagement über viele Jahre hinweg dieses Ziel verfolgt und das Vertrauen der rechtssuchenden Bürger gewonnen haben.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Deutschland und Österreich
Dennoch ist die Zulassung als Anwalt nur der Anfang und eine erfolgreiche Karriere erfordert in beiden Ländern nicht nur umfassendes juristisches Wissen, sondern auch Mut, Ausdauer und vor allem unternehmerisches Denken. Wer nicht in der Lage ist, professionell Kunden zu gewinnen, keine ausgeprägte Kundenorientierung aufweist und kein unverwechselbares Beraterprofil entwickelt hat, wird in Österreich ebenso wie in Deutschland Schwierigkeiten haben, eine erfolgreiche Anwaltskarriere zu verfolgen.
In Österreich kennt der erfolgreiche Anwalt keinen 8-Stunden-Tag; eine 60-Stunden-Woche oder sogar mehr ist die Norm. Im Vergleich zur Anwaltstätigkeit in Deutschland kann der deutsche Jurist jedoch mit erheblich höheren Einkünften rechnen.
Der Unterschied ergibt sich aus dem deutschen Gebührensystem, das sich entweder nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) oder nach einer schriftlichen Vergütungsvereinbarung richtet. Letztere ersetzt die gesetzlichen Gebühren. In Österreich hingegen gelten neben dem Rechtsanwaltstarifgesetz und den Allgemeinen Honorar-Kriterien auch freie Honorarvereinbarungen. Ein österreichischer Rechtsanwalt kann daher je nach eigener Bewertung seine Vergütung gegenüber seinem Mandanten auf Grundlage der erbrachten Leistung oder nach Stunden in Rechnung stellen.
Vor Gericht gelten dennoch die festgelegten Tarife, wodurch die Kosten für die Inanspruchnahme eines Anwalts in Österreich in der Regel um etwa ein Drittel höher liegen als in Deutschland. Das Jahresbruttoeinkommen eines Anwalts in Österreich bewegt sich zu Beginn seiner Karriere oft zwischen 56.500,00 Euro und 76.100,00 Euro.
Immer mehr deutsche Anwälte streben Zulassung in Österreich an
Es ist also nicht verwunderlich, dass immer mehr deutsche Rechtsanwälte eine zusätzliche Zulassung in Österreich anstreben. Ein in Deutschland zugelassener Anwalt, der kein zusätzliches Jurastudium in Österreich mit einer fünfjährigen Ausbildung und Prüfung zum Rechtsanwalt absolviert hat, kann gemäß dem Europäischen Rechtsanwaltsgesetz (EIRAG) in Österreich bereits ohne spezielle Prüfung als „Europäischer Rechtsanwalt“ in die Liste der „niedergelassenen europäischen Rechtsanwälte“ eingetragen werden. Das berechtigt ihn, in Österreich sämtliche Anwaltstätigkeiten auszuüben und seine Dienstleistungen gemäß dem österreichischen Gebührensystem abzurechnen.
Solche Anwälte sind auch als Unternehmensjuristen stark gefragt. Als oft angestellte Juristen verdienen sie in der Regel ein Jahresbruttoeinkommen zwischen 80.000,00 Euro und 100.000,00 Euro.
In Österreich, wo rund 8,8 Millionen Menschen leben (wovon etwa 7,5 Millionen die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen), sind diverse Rechtsprofis tätig. Hierzu zählen ungefähr 6.200 Rechtsanwälte und rund 2.000 Berufsrichter, von denen etwa 210 am Bundesverwaltungsgericht arbeiten. Zusätzlich finden sich 68 Berufsrichter beim Verwaltungsgerichtshof und etwa 610 bei den Landesverwaltungsgerichten.
Voraussetzungen und Studium in Österreich
Das Studium der Rechtswissenschaften in Österreich erstreckt sich in der Regel über acht Semester und endet mit dem akademischen Grad „Mag. iur.“ Dieses Studienfach wird an den rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten in Graz, Innsbruck, Linz, Salzburg und Wien angeboten. Die Universität Linz bietet außerdem die Möglichkeit eines Fernstudiums in Rechtswissenschaften. Die Abschlussprüfungen für dieses Studium werden, wie bei anderen Studiengängen auch, von der Universität abgenommen. Im Gegensatz zu Deutschland existiert in Österreich kein juristisches Staatsexamen.
Um in Österreich als Rechtsanwalt praktizieren zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, wie sie in § 1 der Rechtsanwaltsordnung festgelegt sind. Dies umfasst:
- Die österreichische Staatsbürgerschaft oder eine EWR- oder schweizerische Staatsangehörigkeit
- Die Volljährigkeit
- Ein abgeschlossenes Studium der österreichischen Rechtswissenschaften
- Eine vorgegebene Dauer praktischer Erfahrung
- Das Bestehen der Rechtsanwaltsprüfung
- Die Teilnahme an speziellen Ausbildungsveranstaltungen
- Abschluss einer Haftpflichtversicherung
Die praktische Erfahrung beinhaltet aktuell fünf Jahre juristische Tätigkeit, von denen fünf Monate bei Gericht und 36 Monate in einer Rechtsanwaltskanzlei (im Inland) absolviert werden müssen. Die verbleibenden 15 Monate können durch Assistententätigkeit, Doktoratsstudium (maximal sechs Monate) oder Tätigkeiten bei einer Behörde oder EU-Institution ersetzt werden. Die Gesamtdauer darf jedoch nicht weniger als 60 Monate betragen. Die Rechtsanwaltsprüfung kann an einem der vier Oberlandesgerichte abgelegt werden.
Der Weg in der Schweiz
Werfen wir nun einen Blick in die Schweiz, denn diese beheimatet neun renommierte juristische Fakultäten, darunter die Universitäten in Zürich, Basel, Luzern, Bern, Fribourg, St. Gallen und Lausanne. Die juristischen Abschlussprüfungen werden von diesen Universitäten in der Schweiz gestellt und bewertet. Im Gegensatz zu Deutschland existiert in der Schweiz keine spezifische juristische Staatsexamenprüfung. Bis zum Jahr 2003 wurde das Studium in der Schweiz mit dem akademischen Titel „Lizentiat“ (lic.iur.) abgeschlossen.
Mit der Einführung der Bologna-Reform wurden die akademischen Titel an internationale Standards angeglichen. Seitdem werden in der Schweiz die Titel „BLaw“ für „Bachelor of Law“ und „MLaw“ für „Master of Law“ verliehen, wobei die Universität St.Gallen eine Ausnahme bildet und die Titel „B.A. HSG in Law“ für „Bachelor of Arts HSG in Law“ und „M.A. HSG in Law“ für „Master of Arts HSG in Law“ vergibt.
Die meisten Schweizer Universitäten vergeben Noten von 1 (sehr schlecht) bis 6 (sehr gut) in Übereinstimmung mit dem schweizerischen Notensystem, wobei die Note 4 als ausreichend gilt. Zusätzlich werden oft Auszeichnungen ab der Note 4 und besser verliehen, darunter „rite“ (tiefstes Prädikat), „bene,“ „cum laude,“ „magna cum laude“ und „summa cum laude“ (höchstes Prädikat). Die erforderlichen Noten für diese Auszeichnungen variieren je nach Universität.
Nach dem Abschluss des Studiums
Nach Abschluss des Studiums mit einem „MLaw“ oder „lic.iur.“ besteht die Möglichkeit, nach einer praxisorientierten Phase bei Gerichten und Anwaltskanzleien die kantonale Anwaltsprüfung abzulegen.
Richterämter werden in der Schweiz durch demokratische Wahlen (durch das Volk oder das Parlament) in den jeweiligen Kantonen besetzt, wobei universitäre Abschlüsse und Noten keine entscheidende Rolle spielen, insbesondere nicht für erstinstanzliche Richterämter. Ein Universitätsabschluss ist jedoch in der Regel eine Voraussetzung. Staatsanwälte werden ebenfalls gewählt, wobei die Wahlbehörde je nach Kanton das Volk, das Parlament oder die Regierung sein kann. Ein juristischer Universitätsabschluss ist üblicherweise eine Voraussetzung.
Abschlüsse in der Schweiz anders bewertet
Da Juristen in der Schweiz im Gegensatz zu Deutschland kein zweites Staatsexamen ablegen, hat das Anwaltsexamen eine besondere Bedeutung. Es dient oft als Eintrittskarte für eine höhere juristische Karriere, selbst wenn die Absolventen nicht unbedingt beabsichtigen, als Anwälte zu praktizieren.
In der Schweiz trägt der Titel „Fachanwalt SAV“ eine besondere Bedeutung, da er darauf hinweist, dass ein Rechtsanwalt auf einem spezifischen Rechtsgebiet über herausragende Kenntnisse und umfassende Erfahrung verfügt. Die Zulassung als Fachanwalt erfordert eine mindestens fünfjährige Berufspraxis und überdurchschnittliche Kompetenz im betreffenden Rechtsbereich. Sobald diese Anforderungen erfüllt sind, wird der Titel nach erfolgreicher Prüfung durch den Schweizerischen Anwaltsverband für einen Zeitraum von zehn Jahren verliehen.
Der Schweizerische Anwaltsverband (SAV) zertifiziert folgende Fachanwaltsabschlüsse:
- Fachanwalt für Arbeitsrecht
- Fachanwalt für Bau- und Immobilienrecht
- Fachanwalt für Erbrecht
- Fachanwalt für Familienrecht
- Fachanwalt für Haftpflicht- und Versicherungsrecht
- Fachanwalt für Strafrecht
- Fachanwalt für Mietrecht
Die beste aller juristischen Welten?
Eine bemerkenswerte Eigenschaft des deutschen Rechtssystems ist die Tatsache, dass Rechtsanwälte mehrere Standorte betreiben dürfen. Dies ermöglicht eine bundesweite Präsenz, was der Untermauerung der eigenen Expertise zugutekommt, da diese einer breiteren Bevölkerung angetragen werden kann. Flankiert wird dieser Umstand von dem weiteren Vorteil eines Rechtsanwalts an allen Gerichten (außer BGH) zugelassen zu sein, was wiederum in Zeiten fortschreitender Digitalisierung, die ebenfalls vor dem Rechtswesen nicht Halt macht, eine bundesweite Vertretung von Mandanten ermöglicht.
Schlussendlich mag jeder einzelne für sich beurteilen, ob wir in der besten aller juristischen Welten leben, Fakt ist jedoch, dass die Vielfalt des deutschen Rechtssystems seinesgleichen in der übrigen Welt sucht. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht und Sanierungsrecht ist die Kanzlei BRAUN für Mandanten in Deutschland da.