Im Verlauf des ersten Halbjahres 2023 verzeichnete die deutsche Gründerszene einen drastischen Einbruch bei den Investitionen. Dies wirft Bedenken hinsichtlich einer möglichen Welle von Unternehmenspleiten auf. Selbst etablierte und große Start-ups sehen sich zunehmend mit Problemen konfrontiert, wie einige Beispiele verdeutlichen.
Um einen Vergleich zur Gesamtlage der Wirtschaft in Deutschland aufzuzeigen, ist zu bemerken, dass der Ifo-Geschäftsklimaindex zum dritten Mal in Folge gefallen ist. Dies dürfte dann die allgemeine Stimmung am Markt widerspiegeln, denn die Erwartungen der Unternehmen gehen zurück, während die Unzufriedenheit mit den aktuellen Geschäften zunimmt. Das wirkt sich auch auf zentrale Wirtschaftsbereiche wie den Maschinenbau, die Elektrotechnik und die Chemiebranche aus. Diese Branchen bilden das Herzstück der Wirtschaft und sind ebenfalls von der Entwicklung betroffen.
Eine Misere, die erst recht die Start-ups trifft – jene Pioniere also, die noch in ihrer Entwicklungsphase stecken und auf die Zuführung von Kapital angewiesen sind, um wachsen zu können. Insgesamt betrachtet gibt es somit nur wenige Unternehmen, die als Gewinner aus dieser Situation hervorgehen dürften, wie die nachfolgende Lage am Markt mehr als verdeutlichen dürfte.
Bereits im ersten Halbjahr 2023 ist die Gesamtsumme der Investitionen in junge deutsche Wachstumsunternehmen im Vergleich zum Vorjahr drastisch um 49 Prozent gesunken. Trotz des Betrags von über drei Milliarden Euro befindet sich der Wert nun wieder auf dem Niveau der Halbjahre vor der Pandemie. Allerdings bedeutet dies, dass sich mehr Start-ups diese Summe teilen müssen, sodass für jedes Unternehmen weniger Geld übrig bleibt. Große Anschlussfinanzierungen für Start-ups, die in der Euphorie-Phase viel Kapital verbraucht haben, sind daher kaum absehbar.
Gründe für den Rückschlag der deutschen Start-up-Szene
Dies sind Ergebnisse des regelmäßig veröffentlichten „Start-up-Monitors“ von EY. Die Experten sehen in dieser viel beachteten Studie einen deutlichen Rückschlag für die deutsche Start-up-Szene. Als Gründe dafür werden die großen geopolitischen Risiken, der hohe Inflationsdruck, die erhöhten Zinssätze und die schwache konjunkturelle Entwicklung genannt, die zu einer schwierigen Finanzierungssituation im heimischen Start-up-Ökosystem geführt haben.
Die Auswirkungen dieses scheinbar abstrakten Szenarios spiegeln sich in der Realität indes deutlich wider. Insbesondere seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs hat sich die anfängliche Euphorie in der Start-up-Szene in Ernüchterung gewandelt. Die steigenden Zinsen und der rasant fallende Börsenkurs unprofitabler junger Unternehmen wie About You und Auto 1 führen dazu, dass Risikokapitalgeber bei neuen großen Investitionen zögern – insbesondere bei Start-ups, die bereits längere Zeit am Markt sind, jedoch noch keine Profitabilität erreicht haben.
„Wir müssen teilweise 300 Investoren ansprechen, um einen willigen Geldgeber zu finden“, gab Julian Riedlbauer, Deutschlandchef bei der auf Start-up-Kapitalbeschaffung spezialisierten Beratung GP Bullhound, die Lage am Markt wieder.
Start-ups wachsen langsamer oder ergreifen Gegenmaßnahmen
Aufgrund der steigenden Zinsen findet am Kapitalmarkt eine allgemeine Neuausrichtung statt: Weg vom Fokus auf Wachstum, hin zur Betonung der Profitabilität. Selbst etablierte Unternehmen wie der E-Roller-Anbieter Tier haben Maßnahmen ergriffen, wie Stellenstreichungen und die Einstellung der Auslandsexpansion, um Verluste einzudämmen. Das Ziel besteht darin, mit dem während des Booms aufgenommenen Kapital so lange wie möglich auszukommen, bis die Krise überwunden ist – idealerweise bis zu einem möglichen Börsengang oder dem Einstieg eines Konzerns oder Finanzinvestors.
Ein Beispiel hierfür dürfte der Schnelllieferdienst Flink sein, der im Frühjahr 150 Millionen Euro von Bestandsinvestoren wie Rewe benötigte, um den Betrieb fortsetzen zu können – trotz eines strikten Sparprogramms. Bei solchen Finanzierungsrunden müssen die bereits vorhandenen Investoren oft akzeptieren, dass neue Geldgeber zu günstigeren Konditionen einsteigen können. Dadurch erhalten diese neuen Investoren größere Anteile am Unternehmen oder sichern sich bevorzugte Auszahlungsbedingungen. Die Gründer selbst müssen dabei oft auf eine erhebliche Summe Geld verzichten.
Die Hoffnung stirbt auch in der Start-up-Szene zuletzt
Wie lange sich dieser Negativtrend fortsetzen wird, ist indes ungewiss. Aber trotz dieser getrübten Prognosen gibt es durchaus Lichtschimmer der Hoffnung am Horizont. Denn im ersten Halbjahr wurden zwei beachtliche Finanzierungsrunden mit jeweils 215 Millionen Euro verzeichnet, welche Unternehmen unterstützen, die Privathaushalte mit Solarenergie ausrüsten: 1Komma5° aus Hamburg und Enpal aus Berlin. Auf dem dritten Platz folgte der Münchener Raketenentwickler Isar Aerospace.
Diese Finanzierungen deuten darauf hin, dass es weiterhin Möglichkeiten gibt, in aussichtsreiche Geschäftsfelder zu investieren. Und dieser bleibt trotz deutlicher Einbußen der Bereich Software, der insgesamt als der stärkste Sektor in Bezug auf Investitionen gilt. Investitionen in Energie und nachhaltige Geschäftsmodelle zeigen sich damit vergleichsweise stabil.
Geschäftsmodelle haben nicht immer genug Tragkraft
Jedoch gestaltet sich die Investition in modische, grüne und soziale Start-ups nicht immer einfach – wie einige Investorenstimmen zu bedenken geben. Denn häufig halten die vielversprechenden Nachhaltigkeitsvisionen der Start-ups bei genauerer Betrachtung des Geschäftsmodells der Prüfung nicht stand und zerplatzen wie Seifenblasen. Dies zeigt einmal mehr deutlich auf, dass das Scheitern von Finanzierungsrunden nicht ausschließlich auf das Sicherheitsbedürfnis der Investoren zurückzuführen ist.
Der Druck steigt – Start-ups droht Insolvenz
Die nachlassende Investitionsfreude bei Investoren übt einen großen Druck auf die Start-ups aus, weil diese ohne frisches Kapital über Nacht zahlungsunfähig werden. Fatal ist aber nicht der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit, diesen können normale Menschen noch leicht selbst ermitteln und überblicken. Problematisch ist der Insolvenzgrund der Überschuldung.
Start-ups starten meist mit Überschuldung
Start-ups sind meistens von Beginn an überschuldet, da sie in der Regel keine Vermögenswerte, sondern nur Schulden haben. Das ist so lange ohne Bedeutung, wie eine positive Fortbestehensprognose besteht. Eine solche besteht dann, wenn man nicht innerhalb von 12 Monaten zahlungsunfähig wird. Und genau hier liegt das Problem. Viele Start-ups werden nicht mit dem insgesamt benötigten Kapital ausgestattet, sondern nur mit Kapital, das bis zu einem bestimmten Abschnitt ausreicht. Das kann eine Veräußerung des Gesamtunternehmens oder ein gewisser Entwicklungsstand bei einem Produkt sein.
Fällt das Datum, an dem das Geld ausgeht, in den 12-Monatszeitraum, ist aber noch ausreichend Geld für beispielsweise sechs Monate vorhanden, wäre man eigentlich bereits insolvenzantragspflichtig. Dies gilt nur dann nicht, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (also >50 %) mit einer Folgefinanzierung zu rechnen wäre. Das muss gut dokumentiert werden. Ist noch kein (Co-)Investor in Sicht, der frisches Geld gibt, wird es schwer, einen solchen Nachweis zu erbringen. Damit laufen viele Geschäftsführer von Start-ups ungewollt in eine Haftungsfalle.
Geschäftsführer von Start-up-Unternehmen sollten daher vorsorglich einen Fachanwalt für Insolvenzrecht und Sanierungsrecht aufsuchen, wenn die Folgefinanzierung noch nicht gesichert ist. Hier steht Ihnen die Kanzlei BRAUN gerne beratend zur Seite.