Im Grunde ist die Verkettung der glücklichen Umstände für ein funktionierendes Unternehmen simpel. Gute Auftragslage, gute Umsätze und die Verteilung dieser in Form von angemessenen Löhnen an die Belegschaft. Im besten Fall solche, die über der gesetzlichen vorgeschriebenen Mindestlohngrenze angesiedelt sind. Nun, wenn aber der Wind an den Märkten dreht und die Aufträge nicht mehr so leicht zu generieren sind, entwickelt die Bindung an den Mindestlohn eine Dynamik, welche das Unternehmen in den Strudel der Insolvenz reißen kann. Und dass die Wetterlage an den Märkten – und das nicht spätestens seit der Corona-Krise – eine ungünstige Wendung genommen hat, dürfte sich in der Zwischenzeit wohl herumgesprochen haben.
Doch wagen wir zunächst einen Blick auf die europäischen Märkte. Hier offenbart sich nämlich ein Szenario, welches wie folgt ausschaut:
Ein neu aufgezogener Wirbelwind aus gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten sowie die aufziehende Zinswende haben das Insolvenzgespenst durch Europa gejagt und die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen in die Höhe treiben lassen. Insgesamt mussten sich im Jahr 2022 in den 14 westeuropäischen EU-Ländern sowie Norwegen, der Schweiz und Großbritannien insgesamt 139.973 Unternehmen dem Schicksal der Firmenpleiten ergeben.
Dies bedeutet eine eindrucksvolle Steigerung um 24,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wie eine aktuelle Studie der angesehenen Wirtschaftsauskunftei Creditreform offenbarte. Auch in Osteuropa schlug die Insolvenzwelle mit einer beeindruckenden Zunahme von 53,5 Prozent und über 60.000 betroffenen Unternehmen zu. Ein Zeichen für die aufregende, wenngleich in diesem Fall nicht wünschenswerte Dynamik der Wirtschaftswelt.
Baugewerbe ist besonders betroffen
Besonders hart traf es den Handelssektor, der mit einer Steigerung von 34,5 Prozent in der Studie hervorstach. Gefolgt wurde er vom Baugewerbe, das sich um 24,7 Prozent erhöhte. Auch der Dienstleistungssektor musste einen spürbaren Anstieg von knapp 20 Prozent verkraften, während das Verarbeitende Gewerbe um 13,1 Prozent zulegte. In Deutschland erwischte es vor allem das Baugewerbe am härtesten, dicht gefolgt vom verarbeitenden Gewerbe. Trotz der turbulenten Insolvenzlandschaft in Deutschland kann sich die Bundesrepublik im Europa-Vergleich zunächst noch als solide Festung behaupten – zumindest bis jetzt.
Aktuelle Krisen verschärfen die Situation
Allerdings bilden auch hier Rezessionsängste, steigende Energiepreise sowie Unsicherheiten infolge des Ukraine-Krieges zunehmend eine aufziehende Gewitterfront, die sowohl Unternehmen als auch Beschäftigte mit zunehmender Härte trifft. Dies gilt gleichermaßen auch für die Start-up-Szene in Deutschland, die zuletzt zahlreiche Massenkündigungen veranlasst hatte.
Wie bereits angeführt, kann der gesetzlich festgelegte Mindestlohn dabei einen mitentscheidenden Faktor spielen. Denn dieser liegt derzeit bei 12 Euro pro Stunde – was bei einer entsprechenden Anzahl von Mitarbeitern und im Kontext zum schwierigen wirtschaftlichen Umfeld – die Schieflage eines Unternehmens bedeuten könnte. Diese Höhe wurde durch einen langwierigen und erfolgreichen Einsatz der Gewerkschaften erreicht. Seit dem 1. Oktober 2022 ist der allgemeine gesetzliche Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde festgesetzt worden und wird auch im gesamten Jahr 2023 unverändert beibehalten.
Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn betrug in den Jahren 2022 und 2023:
- 01.01. bis 30.06.2022: 9,82 Euro / Stunde
- 01.07. bis 30.09.2022: 10,45 Euro / Stunde
- seit 01.10.2022: 12 Euro / Stunde
Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beträgt der Bruttoverdienst somit unter Berücksichtigung des Mindestlohns etwa 2.080 Euro pro Monat. Der tatsächliche Nettobetrag, also der Betrag nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, variiert je nach individuellen Faktoren wie Steuerklasse, Familienstand, Anzahl der Kinder, Religionszugehörigkeit und dem Bundesland des Arbeitnehmers.
Mindestlohn steigt weiter an
Die nächste geplante Erhöhung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns ist bereits für den 1. Januar 2024 vorgesehen. Die Mindestlohnkommission traf am 26. Juni 2023 eine Entscheidung über die geplante Anpassung des Mindestlohns. Demnach soll der gesetzliche Mindestlohn zum 1. Januar 2024 auf 12,41 Euro pro Stunde erhöht werden und ein Jahr später, zum 1. Januar 2025, auf 12,82 Euro pro Stunde. Diese Erhöhungen entsprechen prozentualen Steigerungen von 3,4 Prozent bzw. 3,3 Prozent.
Auswirkungen der Erhöhung des Mindestlohns
Die Wirtschaftsfachleute sind sich uneins, ob eine Mindestlohnerhöhung mehr Arbeitsplätze schafft oder welche vernichtet. Sicher ist jedenfalls, dass durch erhöhte Lohnkosten ein Druck auf die Unternehmen entsteht, diese zu kompensieren. Sei es durch Personalabbau, Effizienzsteigerung, Standortverlagerung ins Ausland oder Preiserhöhungen, um nur einige zu nennen. Wer die Preise nicht erhöhen kann, der kann die gestiegenen Kosten nur durch Kosteneinsparung kompensieren.
Vielen Unternehmen fehlen nach Corona die liquiden Mittel zur Effizienzsteigerung. Maschinen können nicht angeschafft werden. Wenn diese Unternehmen nun die Preise nicht erhöhen können, bleibt ihnen keine andere Wahl, als den Gang zum Insolvenzgericht zu gehen, indem sie einen Insolvenzantrag stellen. Weitere Mindestlohnerhöhungen verstärken auf diese Unternehmen den Druck.
Auch Unternehmen, die mehr als Mindestlohn zahlen betroffen
Die Mindestlohnerhöhung erhöht aber nicht nur den Druck auf die Unternehmen, die weniger als 12,00 EUR pro Stunde gezahlt haben. Sie erhöht auch den Druck auf die Unternehmen, die mehr als 12,00 EUR pro Stunde gezahlt haben. Diese müssen – um eine Lohndifferenz zu Hilfsarbeiten aufrechterhalten zu können – den Stundensatz bei Fachkräften ebenfalls anheben. Andernfalls droht ihnen die Abwanderung ihrer Arbeitskräfte zu weniger anspruchsvollen Tätigkeiten. Damit haben auch diese einen Kompensationsdruck.
Nachwirkungen von Corona verschärfen die finanzielle Situation
Insgesamt hat die Mindestlohnerhöhung demnach den Druck auf eine durch Corona geschwächte Wirtschaft stark erhöht. Nicht alle Unternehmen werden dies überleben. Noch sind die Insolvenzzahlen geringer als vor Corona. In diesem Jahr müssen aber die Corona-Hilfen abgerechnet und dann zu viel gezahlte Gelder rückerstattet werden. Auch bei den in Corona-Zeiten gewährten KfW-Krediten beginnt nun die Tilgungszeit – sofern diese nicht schon begonnen hat. Das wird den Druck weiter erhöhen.
Die Mindestlohnerhöhung aus 2022 ist zwar nur ein Faktor von vielen, sie ist aber ein selbst geschaffener Faktor, der nun zusätzlich in den sowieso schon schwierigen Zeiten hinzukommt. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht und Sanierungsrecht steht die Kanzlei BRAUN ihren Mandanten zur Seite.