Wenn es einem Schuldner aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, kann dies – neben einer körperlichen Behinderung – gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c der Zivilprozessordnung dazu führen, dass das Auto des Schuldners aus gesundheitlichen Gründen nicht pfändbar ist. Dies hat der BGH mit einem Beschluss vom 10.08.2022 zu dem Aktenzeichen VII ZB 5/22 entschieden.
Therapiebesuche müssen weiterhin möglich sein
Dem richterlichen Beschluss des BGH ging folgender Fall voraus: Ein Schuldner, der an Schizophrenie leidet, legte Widerspruch gegen die Pfändung seines Autos ein. Er gab an, dass er es im Jahr 2017 hauptsächlich mit Mitteln aus dem Fonds „Heimerziehung in der DDR” in den Jahren 1949 bis 1990 für knapp 10.000 EUR erworben habe, und behauptete, dass das Fahrzeug selbst aufgrund der Unpfändbarkeit der Ansprüche gegen den Fonds nicht gepfändet werden könne.
Zudem sei er auf das Auto angewiesen, um regelmäßige Therapiesitzungen mit seiner Therapeutin in 90 Kilometer Entfernung wahrnehmen zu können. Während akuter Phasen suche er sie etwa zweimal pro Woche auf. In diesem Zustand könne er keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, da er sich in Gegenwart anderer Menschen bedroht fühle und ohne ersichtlichen Grund aggressiv reagiere.
Klage wurde zunächst abgewiesen
Sowohl das Amtsgericht Erfurt als auch das Landgericht wiesen das Anliegen des Schuldners ab. Die Pfändung seines Autos sei rechtens, so die Instanzen. Im Gegensatz zu einer außergewöhnlich mobilitätseingeschränkten Person, für die die Nutzung eines Fahrzeugs die Möglichkeit bietet, angemessen am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, sei der Betreute aufgrund seiner Erkrankung grundsätzlich nicht auf das Auto angewiesen, um seine allgemeinen sozialen Kontakte zu pflegen. Seine Therapie könne er auch in der Nähe seines Wohnorts durchführen. Ein Umzug sei zumutbar. Die Rechtsbeschwerde vor dem Bundesgerichtshof (BGH) war nach der Wiedereinsetzung erfolgreich und führte zur Zurückverweisung des Falls.
Ist die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar, muss Pfändung unterbleiben
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) stellt klar, dass ein Pfändungsverbot für das Fahrzeug nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Die Feststellungen des Landgerichts (LG), wonach der Mann aufgrund seiner psychischen Krankheit grundsätzlich nicht auf das Auto angewiesen sei, um seine allgemeinen sozialen Kontakte zu pflegen, seien nach Ansicht des BGH „zumindest unvollständig”. Obwohl die Nutzung des Fahrzeugs zur Aufsuche seiner Therapeutin allein keine „gesundheitlichen Gründe” im Sinne der entsprechenden Vorschrift darstelle, sei es denkbar, dass der Mann das Fahrzeug benötige, um die Nachteile seiner psychischen Erkrankung teilweise auszugleichen und seine Integration in das öffentliche Leben erheblich zu erleichtern.
Wenn dem Schuldner aufgrund seiner psychischen Erkrankung die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar sei, müsse die Pfändung des Fahrzeugs unterbleiben. Das LG müsse nun die möglichen Auswirkungen der psychischen Erkrankung auf die Zumutbarkeit des Schuldners, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, prüfen. Es müsse auch geklärt werden, ob der Schuldner insbesondere während akuter Krankheitsphasen überhaupt fahrtüchtig sei.
Pfändungsschutz ist Existenzschutz
Der Fall ist sehr extrem, zeigt aber, dass Pfändungsschutz Existenzschutz ist, der bei jeder Person anders zu beurteilen ist. Was bei einer Person pfändbar ist, kann bei einer anderen Person unpfändbar sein. Die Grenzen sind oft fließend.
Wenn es um Ihre Existenz geht, sollten Sie immer einen Spezialisten, am besten einen Fachanwalt für Insolvenzrecht und Sanierungsrecht, um Rat fragen. Die Kanzlei BRAUN steht Ihnen hierbei bei allen Fragen zum Pfändungsschutz zur Seite. Mehr erfahren Sie unter: https://kanzlei-braun.net/schuldnerberatung-braun/pfaendungsschutz/