OLG Frankfurt konkretisiert Haftung von Reitlehrern
Wenn Pferde in der Reithalle plötzlich unvorhersehbar reagieren, kann das für Reiterinnen und Reiter schwere Folgen haben. Doch wer trägt die Verantwortung, wenn es zu einem Unfall kommt – insbesondere, wenn der Reitlehrer selbst Pferdehalter ist? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in einem Urteil vom 24. Mai 2013 zum Aktenzeichen 4 U 162/12. Der Fall drehte sich um einen schweren Sturz während des Einzelunterrichts, der am Ende nicht zu einer Haftung des Reitlehrers führte. Die Entscheidung zeigt, wie hoch die Hürden für Schadensersatzansprüche im Bereich der Tierhalterhaftung nach § 833 BGB liegen.
Ein unerwarteter Richtungswechsel mit schweren Folgen
Der Vorfall ereignete sich während einer Reitstunde, in der die Zeugin A, eine Finanzbeamtin, auf einem erfahrenen Schulpferd trabte. Der Reitlehrer – zugleich Beklagter – befand sich in der Mitte des Zirkels. Parallel dazu führte die Ehefrau des Beklagten eine Stute mit Fohlen am Halfter durch die andere Hallenhälfte. Als Stute und Fohlen die Halle verließen, mussten sie den Zirkel der Reitschülerin überqueren. In diesem Moment änderte der Wallach abrupt seine Richtung und brach nach innen aus. Die Reiterin verlor das Gleichgewicht, stürzte und erlitt einen Bruch des ersten Lendenwirbels. Es entstanden Arztkosten und Lohnfortzahlungen in Höhe von über 21.000 Euro, die das klagende Bundesland als Arbeitgeberin der verletzten Beamtin vom Reitlehrer zurückverlangte.
Keine Haftung trotz Pflichtverletzung – das sagt das Gericht
Das Landgericht Limburg wies die Klage ab, und auch das Oberlandesgericht bestätigte diese Entscheidung. Zwar stellte das Gericht fest, dass der Beklagte als Reitlehrer eine Sorgfaltspflichtverletzung begangen hatte. Er hätte seine Schülerin in dem Moment, als andere Pferde die Halle querten, nicht im Trab weiterreiten lassen dürfen, sondern sie zum Schrittgehen anhalten müssen. Dies sei eine naheliegende Vorsichtsmaßnahme, um Stürze bei plötzlichen Richtungswechseln zu verhindern.
Dennoch blieb der Beklagte ohne Haftung. Der entscheidende Punkt war, dass der Unfall auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Reitlehrers passiert wäre. Nach Auffassung des Gerichts hatte der Wallach aus einem natürlichen Herdentrieb heraus versucht, den anderen Pferden zu folgen. Selbst wenn die Schülerin zunächst im Schritt geritten wäre und erst nach Schließen des Tores wieder angetrabt hätte, wäre der Wallach mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls ausgebrochen. Die gefährliche Situation hätte sich also nicht vermeiden lassen.
Berufstierhalterhaftung – mit Einschränkungen
Das OLG stützte sich auf die sogenannte Exkulpationsmöglichkeit des Berufstierhalters nach § 833 Satz 2 BGB. Während Tierhalter in der Regel verschuldensunabhängig haften, kann sich ein Berufstierhalter – etwa ein Reitlehrer – entlasten, wenn er beweisen kann, dass er die erforderliche Sorgfalt eingehalten hat oder der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre. In diesem Fall gelang der Nachweis. Damit bestand auch kein Anspruch aus anderen Rechtsgrundlagen wie dem Reitunterrichtsvertrag aus §§ 280, 241 BGB oder der allgemeinen Deliktshaftung gemäß§ 823 BGB.
Reitunterricht und rechtliche Klarheit für Lehrer wie Schüler
Besondere Bedeutung erlangt das Urteil durch die präzise zeitliche Abgrenzung der Sorgfaltspflichten. Nach Ansicht des Gerichts endete die Pflicht, die Reitschülerin im Schritt reiten zu lassen, in dem Moment, in dem die Stute und das Fohlen die Halle vollständig verlassen hatten und das Tor geschlossen war. Danach durfte der Reitlehrer wieder zum Antraben anweisen, ohne eine Überspannung der Sorgfaltsanforderungen zu riskieren. Eine ständige Schritt-Anordnung allein wegen theoretischer Gefahren hielt das Gericht für unpraktikabel.
Für Reitlehrer und Betreiber von Reitschulen zeigt dieses Urteil zweierlei:
- Es bestehen klare Pflichten, Reitschüler in kritischen Situationen besonders zu sichern.
- § 833 Satz 2 BGB schützt vor unbegrenzter Haftung, wenn trotz aller Vorsicht ein Unfall unvermeidbar ist.
Verantwortung im Reitsport – wo die Grenzen verlaufen
Für Reiterinnen und Reiter bedeutet das, dass nicht jeder Sturz automatisch zu einem Schadensersatzanspruch führt. Entscheidend ist, ob ein konkretes Fehlverhalten des Reitlehrers nachweisbar war – und ob der Unfall sich ohne dieses Fehlverhalten hätte verhindern lassen.
Das OLG Frankfurt setzte mit diesem Urteil ein wichtiges Signal. Auch im Pferdesport bleibt ein Restrisiko, das nicht auf den Reitlehrer abgewälzt werden kann. Wer sich in den Sattel setzt, übernimmt immer auch ein Stück Eigenverantwortung – selbst im Rahmen eines beaufsichtigten Reitunterrichts. Besonders relevant ist dies auch im arbeitsrechtlichen Kontext, etwa wenn der Dienstherr einer verbeamteten Reiterin Ansprüche geltend macht – hier kann ein Rechtsanwalt für Pferderecht rechtlich fundiert prüfen, ob und in welchem Umfang eine Haftung in Betracht kommt.